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[2]

Plato, Sophistes 240, c/b.

[3]

Gottfried Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hg. ), Was ist ein Bild. , München 1994, S. 11–38. p>

 

«Ich werde Dich Unterschiede lehren»

(Wittgenstein nach Shakespeare)

Die Kategorie der ikonischen Differenz wurde seit 1978 entwickelt, um die Bildern eigene Explikationskraft zu analysieren. [1] Ihre erste Aufgabe besteht darin, nicht nur in unbestimmter Allgemeinheit vom «Bild» zu reden, sondern die riesige, historische und sachliche Vielfalt der Bilder einer Reflexion zu erschliessen. Anschauungsnähe geht einher mit begrifflicher Anschlussfähigkeit, die sich aus dem Denken der Differenz ergibt. Sie miteinander zu verbinden, gegeneinander abzuwägen und in ihrer materiellen Beschaffenheit zu untersuchen, ist Aufgabe einer wissenschaftlichen Arbeit, deren angemessener Name Bildkritik lautet.

Das Insistieren auf dem genauen Augenschein folgt einem phänomenologischen Impuls, welcher die den Bildern eigentümlichen Erfahrungsformen erschliesst, die Plato erstmals im Sophistes, mit den Worten des Theaitetos als Verflechtung (Symploké) von Seiendem und Nichtseiendem beschreibt. Den Fremden im Dialog lässt Plato jene Frage formulieren, mit der sich das Bilddenken auch heute noch konfrontiert weiss: «Ist es nun also nicht wirklich nicht seiend, doch wirklich das was wir ein Bild nennen?» [2] Das Rätsel «Bild» zeigt tausend Gesichter und hat doch stets damit zu tun, dass sich Faktisches als Wirkung, Materialität als luzider Sinn erschliesst. Zunächst aber ist es um eine äussere und deskriptive Anwendung des Differenzkriteriums zu tun, die zu einer stets unvollständigen Auslegeordnung führt. Sie verschafft Überblick z.B. über Familienähnlichkeiten der Bilder oder über Gattungs- und Funktionszusammenhänge, spezifiziert, wie und wodurch sich Bilder unterscheiden. Dieses bildkritische Vorgehen ist schon deshalb nicht trivial – so sehr es sich auf Vorarbeiten stützen muss – weil es den Blick für Eigenarten und für das riesige Spektrum der Bildphänomene, einschliesslich der ikonischen Latenzen, schärft. Es erkundet als Bestandsaufnahme die offenen Bestimmungsgrenzen des Bildlichen in seinen historischen Kontexten, zu denen auch differente Materialitäten bzw. Medien beitragen. Das Denken der ikonischen Differenz vergewissert sich damit der historischen und anthropologischen Voraussetzungen seines Gegenstandes. Aber auch seines Ortes im Felde der Diskurse. Die «Wendung zum Bild» [3] kommt nicht von ungefähr, sondern stützt sich auf die tiefgreifenden Transformationen, die das Bild durch die Avantgarden des 20. Jahrhunderts erfuhr und die seine Erscheinungs- und Darstellungsweise extrem vervielfältigt haben. Die digitalen Technologien haben des Weiteren dafür gesorgt, das Bild zu dem zu machen, was es vordem nie gewesen war: ein flüssiges und interaktives Mittel der Kommunikation.

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