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Ikonische Umbauten als visuelle Semantik

This article combines sociological theory with a close reading of art works. In a first theoretical step the concept of visual semantics as an extension of the systemtheoretical analytics of social structure and semantics is developed, which is proven exemplarily in a second step on artistical depictions of shifting money semantics: Lochner’s Weltgerichtsbild/Last judgement picture (1435), Quentin Massys’ Der Geldwechsler und seine Frau/The moneychanger and his wife (1514) and Marcel Duchamp’s Tzanck Check (1919). Whereas in Lochner’s Last judgement money was considered as an object of religious reality which was represented by means of art, Duchamp’s check shows an aporia constellation in which the represented object undermines its representation and gives evidence to the incompatibility of art and economics in modern society.

I.

Bildlichkeit hat bislang in Sozialtheorien keinen systematischen Ort, obgleich sie in den letzten Dekaden Thema sozial- und kulturwissenschaftlicher Erörterungen ist. Die Frage nach den Bildern scheint vor allem als methodische Herausforderung angekommen zu sein. Bilder werden interpretiert, als visuelle Dokumente gesellschaftlicher, kultureller, historischer Erfahrungen in einem interdisziplinären Feld intensiver Forschung aufgerufen, um die notwendige und überzeugende Ausweitung des Forschungsgegenstandes der beteiligten Disziplinen zu besiegeln. Sie werden als visuelle Artefakte in Prozessen und Verfahren der Genese von Sinn, Erkenntnis, Evidenz in den Blick genommen und auf ihre Leistungsfähigkeit in Differenz und in Verbindung mit anderen Formen der Sinnerzeugung befragt. So wie im interdisziplinären Feld Bildtheorie – trotz vielversprechender empirischer und systematischer Einzeleinsichten – ein Desiderat bleibt, bleiben im sozialtheoretischen Reflexionsgeschehen die Theoriestellen, an denen die Frage nach den Bildern sinnvoll zu platzieren wäre, unausgewiesen.

Die folgenden Überlegungen kombinieren eine theoretische Absicht mit einer exemplarischen Untersuchung, die soziologische Theorie mit kunstwissenschaftlicher Analyse verbindet. Der Theorievorschlag geht von der systemtheoretischen Reformulierung des wissenssoziologischen Problems einer Kovariation von Sozialstruktur und Semantik aus. Die klassische Gegenüberstellung von Struktur und Semantik aber wird – so der Vorschlag – um die Dimension der Medien erweitert. Aus der binären Konstellation Gesellschaftsstruktur und Semantik wird somit eine trinäre Relation von Strukturen, Semantiken, Medien. [1]

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