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Horst Bredekamp hat sie neuerdings als «Bildakt» konzipiert. Vgl. seine Theorie des Bildaktes, Berlin 2010.

 

Die Rede vom Wechselspiel, vom Übergang und Prozess oder von der ikonischen Differenz als Spielraum trifft noch keine Entscheidung hinsichtlich der Eigenart bzw. Funktionsweise der ikonischen Logik. Wohl aber bringt sie zur Geltung, dass es sich um ein «stehendes» Unterscheidungsgeschehen handelt, dass im Zentrum des Bildes Temporalität dominiert.

Anders gesagt: Bilder repräsentieren eine, allerdings hochspezifische Form des Ereignisses. [9] Es umfasst nicht nur visuelle, verschränkt lesbare Kontraste zwischen Figur und Grund, sondern es impliziert den Raum der Geschichte. Denn alle Bestimmungen, die ins Bild einfliessen, nicht lediglich Ikonographie bzw. Ikonologie oder Form und Stil entstammen einer in der Historie und in der Kultur vollbrachten Arbeit. Und bekanntlich haben sich auf diesem Wege nicht lediglich die Darstellungsgehalte verändert, sondern auch die Bildkonzepte, das heisst die Weisen des Darstellens selbst. Mit anderen Worten: Bildkritik, welche die Modi ikonischer Repräsentation analysiert, sieht sich auf die Produktivität von Geschichte und auf die der Bildermacher verwiesen.

Bildtheorie, so Bernhard Waldenfels, neige dazu, zu hoch oder zu tief anzusetzen. [10] Sie neigt auch dazu, auf die mühselige Erarbeitung eigener Begrifflichkeiten zu verzichten, das Repertoire bestehender Philosophien aufzugreifen, sich der Sprache zum Beispiel von de Saussure, Peirce, Wittgenstein, Cassirer, Heidegger, Goodman, Searle, Derrida, Deleuze u.a. zu bedienen. Man sollte dabei freilich bedenken, dass die Genannten ganz andere Erkenntnisinteressen verfolgt haben und deshalb im Einzelnen jeweils zu prüfen ist, welche Bestimmungen zuträglich sind und welche nicht. Denn Begriffe sind bekanntlich nicht nur Worte, sondern Entscheidungen in der Sache.

Die Ausarbeitung der ikonischen Differenz zu einer Begründungsfigur kann deshalb ausserordentlich von der bereits angedeuteten, elementaren Deskriptionsarbeit profitieren. Wenn Bilder einer Logik folgen, dann sollten die beteiligten Operatoren im visuellen Feld und am Exempel nachweisbar sein. Es ist deshalb, beispielsweise, zu wenig, Bilder unter die Kategorie der Potentialität zu rücken und sich dann etwa aristotelischer Argumente zu bedienen. Es ist so lange zu wenig, als nicht erkennbar gemacht wurde, über welche spezifische Art der Dynamis bzw. Energeia Bilder verfügen und mittels welcher Verfahren sie materialiter organisiert wird. Die Kraft der ikonischen Differenz operiert in Ordnungen der Sichtbarkeit und ist deshalb eine sehr besondere. Sie bildet nicht nur kein verbales Prädikat nach («ist»), sondern sie eröffnet eine in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Asymmetrie.

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