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Es ist gerade diese Temporalität, die im Bilde etwas Sichtbares heraustreten lässt, Sinn vor Augen stellt, ins Licht der Evidenz versetzt. Dafür ist Materialität unabdingbar. Sie stellt nicht nur das Kontinuum der Darstellung bereit, sondern verschafft jener Grundunterscheidung einen Körper. Nur wo eine opake Undurchdringlichkeit ins Spiel kommt, kann sich der Sinn des Bildes auftun, kann der Funke der Differenz aufleuchten.

Wir verstehen die ikonische Differenz als Ereignis im Sinne einer Oszillation, bzw. einer Logik des Kontrastes. Bildwerke eröffnen ihren Bedeutungsraum, indem sie dem Auge ein komplexes Hin- und Her ermöglichen, es ihm gestatten, zwischen simultanem Ausgriff und sukzedierender Bewegung einzuschwingen. Es scheint uns deshalb auch nicht hilfreich, den (materiellen) Bildträger vom stets immateriellen Bildobjekt zu unterscheiden, wie das Lambert Wiesing vorschwebt. [12] Eine starre ontologische Demarkation, die das stumpfe Material von der in ihm zur Geltung kommenden «reinen Sichtbarkeit» abgrenzt, weil doch nur darin das eigentlich Bildhafte liege, machen wir uns nicht zu eigen. Welcher Betrachter wäre schon damit zufrieden, das Imaginäre des Bildes von seinem Träger abzuheben? Noch der suggestivste Zauber, den ein Bild auszulösen vermag, die noch so verführerische Simulation ernährt sich doch daraus, dass wir die Farbe und die Faktur, die Chemie der Malerei stets mitsehen können. Die Unterscheidungshöhe aber impliziert Schwingung und Subtilität.

Gilles Deleuze hat, was wir ikonische Differenz nennen, im siebten Kapitel seiner Tausend Plateaus, das dem Gesicht gewidmet ist, als eine «abstrakte Maschine» interpretiert. Sie manifestiert sich bereits in der Differenz zwischen «Weisser Wand» und «Schwarzem Loch». Sie zeigt sich imstande, so etwas wie einen antwortenden Blick oder Affektausdruck zu generieren. [13] Die Macht dieser simplen Bildmaschine, so darf man sagen, setzt ein mit der Unausweichlichkeit der Konfrontation, in die sie den Betrachter zwingt. Er stösst – in unserer Sprache – auf die Asymmetrie zwischen Grund und Lochmuster. Wir folgen jetzt Deleuze’s Gedanken nicht weiter, seiner Differenz die frühkindliche Dyade von Mutter und Kind zu unterlegen und die Macht des Gesichtes bzw. des Bildes damit zu begründen. [14] So sehr wir die enge Verbindung von ikonischer Differenz und körperlicher Gebärdung unsererseits ins Auge fassen. [15]

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