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Emmanuel Alloa über
Hubert Damisch, Der Ursprung der Perspektive. Aus dem Französischen von Heinz Jatho, diaphanes Verlag, Reihe «Daidalia», Zürich 2010, 447 S. ISBN 978-3-03734-087-5

Als Haydn 1790 das Angebot bekam, seine Stelle als Kapellmeister am ungarischen Hof Esterházy gegen London einzutauschen, riet ihm Mozart ab: «Sie sprechen zu wenig Sprachen». Haydn soll daraufhin geantwortet haben: «Meine Sprache verstehet man durch die ganze Welt». Die Vorstellung von Musik als Universalsprache ist alt, mindestens so alt wie die von Malerei als supranationalem Idiom. Musik wie Bild – so heisst es – erreichen Ohr und Auge unvermittelt und drücken aus, was auch tausend Worten nicht gelingt. Musik dürfte man eigentlich nur malen, meinte einst Robert Delaunay; Malerei nur vertonen wiederum Kandinsky. Doch warum sich nicht gleich anhand von Bildern austauschen, warum nicht gleich mit Liedern ohne Worte kommunizieren? Genau dies taten Mozart und Haydn, als sie sich gegenseitig anstelle von Briefen Eigenkompositionen zuschickten, während Robert Rauschenberg in der Malerei das Prinzip des immanenten Kommentars auf die Spitze trieb, als er ein Gemälde, das ihm Willem de Kooning überlassen hatte, gewissenhaft ausradierte und als Erased de Kooning neu präsentierte. Könnten wir über Kunst anders als mittels Worte sprechen und über Welt anders als vermöge der Sprache? Gibt es beispielsweise so etwas wie ein Denken in der Malerei? Kein Nachdenken über die Bilder, sondern ein Denken in Bildern, ähnlich wie man auch sagt, dass man in Farbe träumt?

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