Wolfgang Kemp, Nach Florenz mit Dr. Lacan, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Juli 2010.
Genau dies ist die Frage, die gleichsam als Motor hinter Hubert Damischs Lebenswerk steht. Doch wie in wohl keinem anderen Buch des 1928 geborenen französischen Kunsthistorikers und Philosophen, der an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales lehrte, spitzt sie sich in demjenigen zu, das Damisch dem Thema der Zentralperspektive widmete. 1987 erschien Der Ursprung der Perspektive auf Französisch, seit 1994 liegt es auf Englisch vor. Nach über zwei Jahrzehnten Verspätung ist es nun in der gewohnt zuverlässigen Übersetzung von Heinz Jatho auch auf Deutsch verfügbar. Das gewichtige Buch, das im Zürcher diaphanes-Verlag die neue Reihe «Daidalia» zur Geschichte der Kulturtechniken eröffnet, ist indes weit mehr als die Biographie einer Darstellungstechnik, die irgendwann im Quattrocento in Florenz entstand; es geht, grundsätzlicher, um die normierende Kraft einer Sichtweise, die bis heute die europäische Kultur massgeblich strukturiert.
Inwiefern lässt sich an der Perspektive zeigen, was ein Denken in Bildern bedeuten kann? In seiner Buchbesprechung behauptet Wolfgang Kemp, Damisch bliebe (trotz einer Reihe interessanter Detailanalysen) genau diesen Nachweis schuldig. [1]