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Es ist jedenfalls nichts, was sich fugenlos einordnen liesse in schon Bekanntes. Kunst wie übrigens auch Gott und Glaube haben es mit unvertretbar Eigenem und daher immer auch mit Befremden und Fremdheit für andere zu tun.

So geht es auch dem, der darüber zu sprechen versucht. Denn das Ausserordentliche der Kunst würde gerade verfehlt, wenn man es vor allem einzuordnen suchte, historisch etwa oder empirisch. So hilfreich das sein mag, wäre es ein ‹Bärendienst›, wenn es nicht gerade der Wahrnehmung dessen diente, was darin nicht aufgeht. Sonst würde das Ausserordentliche auf die Reihe einer Ordnung gebracht – und in seiner Differenz verfehlt. Daher ist nur zu verständlich, dass Kunsttheorien Sprachprobleme haben. Und das ist gut so.

Nur – in der Not greift auch die Interpretation gern zu Vertrautem, als Geländer des Sprechens von Unvertrautem. In theologischer Perspektive irritierend ist, dass nicht wenige Kunsttheorien aus der Theologie vertraute Worte gebrauchen: Aura, Transzendenz, Gabe, Präsenz oder gar das Sakrale und das Heilige.

Régis Debray [8] meinte, Kultbilder seien nicht anders, weil sie sakral sind, sondern sie seien sakral, «weil wir sie in Ort und Zeit unserem Zugriff entrücken» [9], sie also sakral machen. Diese Einsicht in die Konstruktion von Sakralität konfligiert mit gegenläufigen Vorstellungen: Aura ist eine der großen Grundmetaphern, mit der die ‹wirkliche Macht› des Bildes benannt wird,[10] Inkarnation (des Ewigen im Augenblick, in der Materie), Erscheinung oder Evidenz und Offenbarung manifestieren diese ‹façon de parler›, in der alte Worte auf neue Phänomene appliziert werden. [11] Das mag an einer ambivalenten Doppelnatur des Bildes liegen: seiner Differenzeinheit von Ding und Nicht-Ding, Sinn und Sinnlichkeit, Immanenz und Transzendenz oder gar heilig und profan – mit entsprechenden Folgen: Bilderfreunde und Bilderfeinde. Interpretationstheoretisch heisst das: Das Sprechen vor einem Bild kann kataphatisch oder apophatisch werden. Das Gesehene kann man mit Worten überschütten, historisch oder systematisch; oder es kann sprachlos machen, so dass man in Negationen allenfalls indirekt anzudeuten vermag, was sich zeigt und worum es geht.

d) «Wie nicht sprechen?» ist die Frage negativistischer Tradition, von Parmenides über Dionysius bis zu Derrida, Rentsch und Mersch: Wie soll oder kann man vermeiden, das Fremde, Singuläre oder Andere mit vorgefasster Semantik zu überformen und darin in eine symbolische Ordnung zu integrieren, in der es verstellt und verzerrt wird? Ob das Eine, Gott, das Böse oder das ‹starke› Bild vor Augen steht, ändert nichts an der Problemstellung.

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