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Wenn das Bild wesentlich Zeigen ist, wenn es darin lebt und wirkt, etwas zu zeigen, darin sich zu zeigen und (reflexiv) auch das Zeigen zu zeigen und wenn dabei (nichtintentional) sich noch so manches zeigt – dann ist solch ein Sprechen hilfreich, das diese mehrdimensionale Deixis erschliesst: Sehen lässt oder Sehen macht. (Damit ist kritisch notiert: eine Interpretation, die vor allem sich selber zeigen will und sich – wie Mehltau – als Folie über die Kunst legt, würde diesen Wahrnehmungsgewinn schmälern, statt ihn zu steigern. Manche Kunstkritik verfährt wohl oder übel eben so.)

Da unser Verhältnis zur Sichtbarkeit humanerweise sprachlich imprägniert ist, kann das Sagen dem Zeigen aufhelfen, indem es mehr und anders sehen lässt als zuvor. Wie Namen und Geschichten bestimmter Berge einen Wanderer in den Alpen genauer sehen lassen, so sieht man mehr, wenn man über eine differenziertere Sprache verfügt. Sprachgewinn kann Wahrnehmungsgewinn werden. Dass ist sc. nicht notwendigerweise so, als würde Sprache magisch gleichsam die Blinden heilen. Aber wer einmal von schwarzer Milch gehört hat, wird Milch anders sehen als zuvor; oder wer einmal ach so prächtige Motoryachten als ‹schwimmende Wohnwagen› angesprochen hat, wird sie künftig anders sehen (lassen).

Hier kann man eine Konvergenz anvisieren: Interpretation, die etwas zeigt, sehen lässt und sehen macht, was ungesehen bliebe oder unverstanden, antwortet deiktisch auf die ikonische Deixis: Interpretation zeigt etwas (auf etwas, mit etwas, etwas, dabei zeigt sich manches), auf dass der Betrachter besser, mehr oder anderes sehen kann als zuvor. Das aus der Hermeneutik bekannte (kantische) ‹besser verstehen› ist sc. prekär. Vorsichtiger, ist die Interpretation hilfreich, die einen Wahrnehmungsgewinn beschert und (wenn es gut geht) sogar einen Sprachgewinn (auf dass beide einander befördern).

Die Differenz von Lexis und Deixis zugestanden, kann Interpretation eine Konvergenz gestalten, in der die Lexis der Deixis zu Hilfe kommt und darin selber deiktisch wird (auf etwas zeigt, sehen lässt, den Horizont erweitert, die Perspektive wechselt, Ungesehenes sichtbar macht – und sprachlich: wenn sie gestisch, szenisch, auch metaphorisch und metonymisch wird). Das hiesse: Gelingende Interpretation ist Antwort auf den Anspruch des Bildes, indem zu sagen versucht wird, was sich ‹einem› zeigt – und indem im Sagen versucht wird, das besagte Bild sich zeigen zu lassen und mehr zu zeigen, als immer schon gedacht oder gesehen wurde. So kann das Sagen dessen, was sich zeigt, zum zeigenden Sagen werden – was man deiktische Lexis nennen könnte: wenn das nicht nicht Sprechen vor einem Bild etwas zeigt und darin sehen lässt, was sich nicht einfach sagen lässt (begrifflich oder propositional).

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