Als ein Kriterium, welches Sprechen hilfreich wäre, gälte dann: Sagen, was sich zeigt, um genauer, besser oder anders sehen zu lassen, was sich zeigt, und darüber hinaus, um anders sehen zu können (auch alles andere anders) als bisher. Das kann nur in eine Sprachenvielfalt führen, die anderen als babylonische Verwirrung erscheinen mag. Wer zu sagen sucht, was sich ‹einem› (ihm) zeigt und das andren sagt und zeigt, der ist darauf angewiesen, dass andere ihm sagen, was sich ihnen gezeigt hat. Alles andere wäre auch abstrakt, denn selbstredend ist jeder Interpret schon in Interpretationen verstrickt (‹Interinterpretativität›) und in diskursive Kontexte eingebunden. Der eine bedarf der Interpretation der anderen, wenn es nicht zu einer interpretativen Monokultur kommen soll – oder umgekehrt: wenn er des Anspruchs gewahr wird, den andere mit ihrem ‹Anderssehen› bedeuten. Eine Ethik der Interpretation wird die Differenz der Stimmen gerade nicht zu tilgen, sondern anzuerkennen suchen.
Die moderne Grunderfahrung der liquiden Perspektivität, dass andere dasselbe anders sehen und beschreiben – ist nicht nur eine Not, es ist eine Tugend der Anerkennung von Differenz (die man darum längst nicht schrankenlos feiern muss). Denn ‹Differenz› per se ist indifferent, gleichgültig. Erst wenn sie anspruchsvoll wird (Ansprüche bedeutet), wird sie prägnant und bedeutsam.
Damit ist ein Kriterium für hilfreiche Bildinterpretation gegeben: mit eigener Stimme zu sagen, was sich einem zeigt, darin dem Anspruch des Sichzeigenden (verantwortlich) antworten, um die eigene Perspektive anderen zugänglich zu machen, auf dass sie anders sehen lässt – wenn denn in dieser Exposition des eigenen Sehens das Anderssehen nicht bestritten, sondern eröffnet und anerkannt wird. Hermeneutische Differenzkultur könnte man das nennen – die nicht von Konsens aus auf Konsens hin operiert, sondern von Differenz aus (wie von Zeigen und Sagen, alter und ego) auf anspruchsvolle und prägnante Gestaltung dieser Differenz hin.
Postscriptum
a) Bildtheorie und Machttheorie – ein Desiderat
Von der ‹Macht› des Bildes zu sprechen, provoziert die Rückfrage, was ‹Macht› in Verbindung mit diesem Genitiv besagen kann, und in welcher Vielfalt von Mächten und Gewalten, von Dispositiven und von jeweils verschiedener Bildlichkeit die Rede sein kann. Hier eröffnet sich ein klärungsbedürftiges Spektrum von Machtbildlichkeit bis Bildmächtigkeit. Was kann ‹Macht› dann jeweils heissen? Hier meldet sich ein Desiderat, Bildtheorie im Horizont von Machttheorie zu reflektieren und umgekehrt.