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Denn wann hätte schon ein Bild geschrien, wenn man es geschlagen hätte? Wann hätte es gesprochen, wenn man es gefragt hätte? Und wer meint, Bilder liessen sich lesen, der soll einmal versuchen, ein Bild vorzulesen. Es dürfte schwierig werden. Denn selbst eine gelungene Ekphrasis ist nicht ein verlesenes Bild, sondern der (höchst anspruchsvolle) Versuch, es sprachlich abzutasten und seine Eigenarten sprachlich zu paraphrasieren.

b) ‹Selbstredend› sind Bildpraktiken immer schon in Sprache eingelassen, zumindest wenn man von einer ‹Gleichursprünglichkeit› oder ‹Koemergenz› von Sprache und Bild in der Entwicklung des Menschen ausgeht. [1] ‹Sprachbildlichkeit› ist daher nicht nur eine besondere Form von Sprachlichkeit und Bildlichkeit, wie in der Schriftbildlichkeit, Diagrammatik oder den ideographischen Sprachen. Sprachbildlichkeit ist ein Ausdruck, der das immer schon In- und Miteinander von Sprache und Bild markiert. Dass der Mensch zoon logon echon ist, ein Sprachwesen, tangiert alles, was er sonst noch ist: eben auch seine Bildpraktiken, die nie sprachlos waren oder sein werden. Selbst wer schweigt vor einem Bild, weil ihm die Worte fehlen, der schweigt und spürt ein Fehlen der Worte, gerade weil er ein sprechendes Wesen ist.

Auf Kunst bezogen (eingeschränkt auf visuelle Artefakte, ästhetisch markiert als Kunst) ist spätestens seit Hegel explizit, dass Bilder reflexiv und metareflexiv verfasst sind: Sie beziehen sich auf Bilder (ikonische Bildkritik), und diese Reflexionen im Bild als Bild sind immer schon diskursiv imprägniert, theoretisch-reflexiv verfasst. Daher hat man es nicht allein mit Sprachbildlichkeit zu tun, sondern stets auch mit Theoriebildlichkeit und der Unhintergehbarkeit von Bildtheorie: mit visuellen Artefakten, die in Theoriekontexte eingelassen sind, aus ihnen entstehen und sich auf sie zurückbeziehen. Das führt zu einer gesteigerten Voraussetzungshaftigkeit der Zugänglichkeit.

c) Sprachbildlichkeit und Theoriebildlichkeit als Komplexionen, Komplikationen, als Chiasmen von Bild, Sprache und Theorie bilden ein Geflecht, in das Bilder stets schon verstrickt sind. Umso mehr bedarf es klarer Differenzen, um das Bild von anderen Dingen, von anderen Medien wie der Sprache und Metamedien wie der Theorie zu unterscheiden. Wenn Bilder vor allem zeigen, und zwar transitiv aktiv (etwas), intransitiv reflexiv (sich), intentional (auf etwas) und nichtintentional (beiläufig oder ‹eigentlich› etwas anderes) – sind sie ‹ganz besond’re Dinge›, so wie Farbe ein ganz besond’rer Saft ist. Das ‹Blut› der Bilder belebt sie auf eine Weise, die zu animistischem Vokabular provozieren kann. Als wären Bilder ‹Agenten›.

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