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Die Nichtidentität von Macht und ihren Verwirklichungen (bzw. ihre konstitutive Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit) begründet ihren Wirklichkeitsbedarf bzw. Darstellungs-, Deutungsbedarf: Herrschaft braucht Herrlichkeit, Macht braucht Manifestationen – und die Macht des Bildes daher den Bildgebrauch (im Sehen, Zeigen und Sagen, was sich zeigt)? Ohne diese Wirklichkeiten, und seien sie noch so tastend, bliebe die Möglichkeit leer. Daher ist die modale Macht der Bilder angewiesen auf das (um nicht zu sagen abhängig von dem), worüber sie Macht hat. Das führt in eine paradoxe ‹Gegebenheitsweise› von Macht, die man Entzugsweise nennen könnte: Macht als Möglichkeit ist der Anschauung und Sichtbarkeit entzogen, aber sie wäre gar nicht, wenn sie sich nicht zeigt. Hier scheint ein asymmetrisches (chiastisches?) Abhängigkeitsverhältnis zu bestehen.

Aber gilt zugleich: Zeigt sich die Macht, zeigt sich die Macht nicht mehr? Das Sich-Zeigen von Macht war theologisch traditionell die Offenbarung Gottes, von der Schöpfung über den brennenden Dornbusch, die Geschichte Israels, den Tempelkult bis zu Inkarnation und Auferweckung. Gott ohne revelatio wäre nur ein deus absconditus (supra nos, nihil ad nos). Nur für uns wird seine Macht relevante Macht – üblicherweise heilvoll wirkende Macht.

Wie verhält es sich im Vergleich mit der Macht der Bilder? Wenn Macht Möglichkeit ist – sind dann nur die verwirklichten Möglichkeiten ‹wirkliche Macht› der Bilder? Pragmatistisch würde das nahe liegen. Aber – die Wirklichkeiten der Bilder sind stets ‹nur› Spuren ihrer Macht. [27]

‹Dahinter›, unverwirklicht und latent, bis auf künftige Verwirklichungen, Wahrnehmungen und Deutungen bleibt eine Welt von Welten, ein infiniter Möglichkeitshorizont, der unmöglich abzuschreiten ist. Die weite Welt der Deixis ‹in einem Bild› bleibt nicht-identisch mit ihren Verwirklichungen, mit dem Gesehenen, Gesagten und Interpretierten.

Hermeneutisch sollte man hier unterscheiden: Die blossen Möglichkeiten sind und bleiben Möglichkeiten, auch als ungenutzte. Und diese Unendlichkeit der Macht der Bilder sollte man nicht mit einem Wirklichkeitsprimat (aristotelisch) verkürzen, als wäre mächtig nur, was wirklich ist. Aber erfahrbar oder relevant werden diese Möglichkeiten nur, wenn sie als Ermöglichungen des Sehens und Sagens wahrgenommen werden – wenn sie sich, wie subtil auch immer, zeigen.

Volker Gerhardt notierte, Macht sei eine Möglichkeitsrelation, in der «das Mögliche als gegenwärtig erlebt» [28] wird. 

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