Das Bild ist Macht in genau diesem Sinne einer Möglichkeitsrelation. Hier kann man aber noch weiter gehen: eine Möglichkeitsrelation, ‹in der das Unmögliche als möglich erlebt wird› und das so sprachlich Ermöglichte als gegenwärtig oder künftig: etwa, dass sich Tote zeigen, fiktives Personal agiert, Fabelwesen auftreten und Gott erscheint.
Deixis und Deutungsmacht
Unter der Frage nach einer Horizonterweiterung der Hermeneutik im Zeichen von Differenz, daher auch der Text- und Sprachhermeneutik durch die Bildtheorie ist das nicht nicht Sprechen vor einem Bild nicht nur Gesagtes und Sagen, sondern (wie oben ausgeführt im Sinne des zeigenden Sagens) eine Weise von Deixis: Sprache wie Sprechen sagen nicht nur, sie zeigen auch, und zwar durchaus dem Bild entsprechend: etwas (transitiv), sich selbst, das Zeigen selber (zumindest in selbstreflexiven, ästhetisch gestalteter Weise), und dabei zeigt sich manches, oft anderes als intendiert (intransitiv). Diese vierdimensionale Deixis ist nicht nur dem Bild zu Eigen, sondern auch der Sprache, was in der gemeinsamen ‹Gestik und Rhetorik› von Bild und Sprache gründen dürfte. Exemplarisch dafür sind sc. Metaphern, Gleichnisse und Narrationen (aber nicht nur diese).
Unter dem Sprachprimat gälte: Was wesentlich ist, muss sich sagen lassen. Zeigen sei sekundär, beziehe sich unbeholfen (semantisch dicht) auf Unsagbares oder sei nicht distinkt genug, um Schrift zu werden. Die übliche Asymmetrie neigt sich zugunsten des Wortes. Zum Bild(verstehen) tritt das Wort hinzu, um zu interpretieren, die Bedeutung zu sagen und in den Diskurs zu überführen. Das Verhältnis von Traum und Traumdeutung wie das von Bild und Bildbeschreibung ‹zeigt› (!): «[B]eim Verstehen des Bildes, das man als manifesten, offen zutage liegenden Inhalt oder ‹Stoff› begreift, beruft man sich auf das Wort, unter dem man eine latente, unter der Oberfläche der Abbildung verborgene Bedeutung versteht.» [29]
Dem gegenüber steht die Tradition der Vision als Vollendung des Verstehens (oder des ‹Logos›, in platonischer wie neuplatonischer Tradition): vom Sagen zum Sehen, was sich zeigt. Unter dem Bildprimat gilt: Erst sieht man, was sich zeigt, dann sagt man vielleicht etwas, aber initial und final gehe es um Wahrnehmung, und zwar möglichst um optische, und sei es mittels des ‹inneren Auges›. Dem folgt der Evidenzprimat der Phänomenologie (mit ihren postivistischen Anfangsgründen). Hier würde ich eine chiastische Verschränkung vorschlagen (ohne die Prätention einer dialektischen Aufhebung):
Was man sagt, ist mehr und anderes, als was sich zeigt.
Was sich zeigt, ist mehr und anderes, als was man sagt.