Beide überschreiten den Horizont ihres jeweils Anderen. Ihr Widerstreit kann als gegenseitige Erweiterung konzipiert werden. Dabei geht das Sagen auf das Unsichtbare, das Zeigen auf das Unsagbare. Beide werden zu Antagonisten, wenn man den Preis der Visibilisierungsdynamik bemerkt: Das Zeigen richtet sich nicht nur auf das Unsagbare, sondern auch auf das Unsichtbare. Es visibilisiert das bisher nicht Sichtbare. Das, was die Domäne von Reflexion und Wort war, wird zur Sache des Zeigens. Und dabei werden die metaphysischen Themen durch die physikalisch ‹meta-physischen› umbesetzt.
Beide, Sagen wie Zeigen, haben ihre Latenzen: Visibilisierung ist stets auch Invisibilisierung. Sagen ist stets auch Verschweigen. Aber beide haben auch ihren Überschuss: Was sich zeigt, ist stets mehr und anderes, als was man zeigt (oder zeigen wollte). Was man sagt, ist immer auch mehr und anderes, als man gesagt hat oder sagen wollte. Sagen und Zeigen haben jeweils einen nichtintentionalen [30] Überschuss, von dem die (teils autonomen) Wirkungspotentiale zehren.
Was bildtheoretisch oft agonal konzipiert wird, die Macht des Bildes gegenüber der Macht der Sprache oder des Wortes – wie zwischen Aaron, dem Bildverehrer, und Mose, dem Wortverehrer und Bilderfeind – konvergiert (potentiell) in der Macht der Deixis – konkret in der Geste des Zeigens wie des Deutens (auf und von etwas). Das Deuten (auf und von) ist eine Geste, in der Wort und Bild sich berühren – wenn auf etwas gezeigt wird und ein Wort hinzutritt, entsteht Bedeutung: Semantik aus der Mantik.
‹Deutung, Deixis, Zeigen› das sind, soweit ich sehe, brauchbare Namen für die ursprünglich gemeinsame und gelegentlich geteilte Geste von Sprache wie Bild. Bild wie Sprache sind dann mächtig in der Gestalt von Deutungsmacht (nicht von Ursprungs- oder Handlungsmacht). Mit Deutungsmacht scheint mir eine besondere Modalität von Macht angezeigt – die Macht des Möglichen, des wirklich Möglichen und möglicherweise Wirklichen bis zum Erhellenden, Plausiblen, Hilfreichen oder Heilsamen.
Die lektische Deixis der Sprache ist ihr Zeigen im Sagen. Wie in Formen der Unbegrifflichkeit, wie Metonymie und Metapher: Sie zeigen etwas (transitiv, aktiv) und in ihnen zeigt sich etwas über das Gesagte hinaus (intransitiv, reflexiv). Damit wird ein Missverständnis der ikonischen Differenz vermeidbar: Als wäre die Deixis ‹alektisch› oder ‹aphatisch› und als wäre die Lexis deiktisch impotent. Die deiktische Potenz der Sprache ist dann benennbar und befragbar. Die Bildlichkeit von Text und Schrift ist bekannt bis in die typographische Gestaltung des ‹Würfelwurfs›.