>>

Die prägnante Metapher vom ‹Bildakt› markiert das, wenn auch auf überschwengliche Weise. Denn so wenig Worte oder Zeichen per se agieren, so wenig Bilder. Mit ihnen wird agiert, interagiert (in Interaktion und Interpassion), aber sie selber sind erst so belebt, wie sie belebt werden von Blick, Gebrauch und Zugriff. Das ‹Leben› der Bilder ist daher ein ‹Mit-Sein› (Nancy), ein Miteinander-lebendig-Sein von Bild und Mensch. Im kulturellen Leben sind Bilder allerdings sehr seltsame Dinge, eben sowohl Dinge als auch Nicht-Dinge, mehr oder anderes: Bilddinge mit Bildsujet, Bildlogik und Bildethik. Und wenn Logik und Ethik nicht alles sein sollten, wäre zu erwarten, es gäbe auch eine Bildpathik, ein Gefühlsleben vor, von, in und mit Bildern. Mit Husserl gesagt: «Was da wirklich existiert, abgesehen vom physischen Ding ‹Gemälde›, von dem Stück Leinwand mit seiner bestimmten Verteilung von Farbenpigmenten, ist eine gewisse Komplexion von Empfindungen, die der Beschauer, das Gemälde betrachtend, in sich erlebt, und die Auffassung und Meinung, die er darauf baut, so dass sich für ihn das Bewusstsein vom Bild einstellt.» [2]

Die Differenz von Dingen und den besonderen Bilddingen ist daher etwas genauer zu mustern. Sie erinnert an die anthropologische Bestimmung, der Mensch sei zwiefältig, Körper und Leib: ein Körper unter Körpern, aber davon unterschieden doch ein lebendiger, beseelter, fühlender Leib. Das scheint bei Bildern analog sagbar zu sein: Sie sind Dinge unter Dingen, wie ein Stück Stein oder ein Blatt, aber doch von einer Lebendigkeit, die sie von Dingen unterscheidet und als ‹beseelt› oder ‹belebt› erscheinen lässt.

 

Vom Ding zum Bildding

Wie wird ein Ding zum Bild, genauer: wie unterscheiden wir zwischen Bild und anderen Dingen? Diese liminale Differenz ‹geschieht› wie von selbst, scheint es – und ist doch so gravierend, dass sie wie eine ‹Wasserscheide› der Wirklichkeiten, in denen wir leben, wirkt. ‹Seinesgleichen geschieht›, so unterscheiden wir eben in gleichsam ‹passiver Synthesis› ohne Ichaktivität so selbstverständlich, dass es meist übersehen, wenn nicht unverständlich wird, was da geschieht. Denn wenn der Blick auf ein Bild fällt, oder ein Bild ins Auge, wird es unwillkürlich ‹als Bildding› von anderen Dingen unterschieden. Der homo pictor ‹macht› diesen Unterschied spontan – wie Hans Jonas meinte und Gottfried Boehm folgt ihm darin –, sobald er ein Bild sieht. Weshalb eigentlich, wann und warum?

Hans Jonas’ These vom homo pictor ist die bildtheoretische Version des animal symbolicum Cassirers oder des animal metaphoricum Blumenbergs.

<<  Ausgabe 01 | Seite 23  >>