>>
 

Die anthropologische These, nach der der Mensch wesentlich Mensch sei dadurch und darin, dass er Bilder schafft und als Bilder erkennt, ist nur zu plausibel und deutlich distinkter, als den Menschen durch Logos oder Sprache zu bestimmen. Denn beide sind bekanntlich Tieren weniger fremd, als manch ein Mensch meint. Die so plausible These des homo pictor ist näherer Klärung aber so fähig wie bedürftig, vor allem ihr liminaler oder initialer Punkt: Denn so selbstverständlich es zu sein scheint, dass selbst Sammler und Jäger ein Bild an der Höhlenwand als Bild erkennen und ihre Pfeile und Lanzen nicht darauf richten – so schwer verständlich ist das, was dabei in Wahrnehmung und Erkenntnis vor sich gehen mag. Etwas vor Augen, eine Form auf der Wand, eine Figur auf dem Grund, ein Ding, ein Objekt als Bild wahrzunehmen, was heisst das? Wie soll man bestimmen, was in der unwillkürlichen (?) Wahrnehmung eines Dings als Bild geschieht? Prädikation oder prädikationsanalog, präprädikative Synthesis, ein Wahrnehmungsurteil oder ‹Sehen als›? An diesem Übergang und Miteinander von Sehen und Verstehen oder Interpretieren fehlen einem die Worte oder es gibt zu viele davon.

Die Unterscheidung von Bildobjekt und Bildsujet, wie sie Husserl erörterte, liegt schon jenseits dieser elementaren Synthesis, in der ein Bildobjekt ‹ausgemacht› wird und die zugleich eine dihairesis ist, eine Scheidung von Dingen und Bilddingen. Ein seltsames Zugleich, das nicht schon sprachlich artikuliert, nicht propositional geformt und schwerlich schon begrifflich konzipiert ist. Als würde im Wahrnehmungsgeschehen bereits etwas ‹geordnet›, geschieden und verbunden. So kann man das sehen, wenn man davon ausgeht, dass nicht erst der Begriff der Anschauung zu Hilfe kommt, sondern bereits die Wahrnehmung interpretativ ist. Das hiesse, in der Wahrnehmung wird bereits diskriminiert, spontan unterschieden: dieses Ding von jenem Bildding, die Wand vom Rahmen, der vom Bild, dieses wiederum von anderen Bildern und von allen umgebenden Dingen etc. Das eine Objekt wird von allen anderen Objekten durch visuelle Markierung unterschieden, die in der Regel unwillkürlich als Differenz aufgefasst wird und die Wahrnehmung entsprechend steuert.

Bildwahrnehmung wäre – so gesehen – ein ‹Sehen als›, ein Sehen dieses Dings als Bildding, während andere nicht so gesehen werden. Und diese Differenzierungsleistung der Wahrnehmung ist sc. fallibel, prekär, irritierbar – bis dahin, dass ästhetische Strategien zu entzündeten Augen führen können, infolge derer alle Dinge plötzlich irgendwie unter ‹Kunstverdacht› geraten können – oder bei Augenschwächen nichts mehr.

Nur erinnert sei daran, dass diese unwillkürliche Differenz in spätmoderner Kunst, wie seit Duchamp, immer wieder konterkariert wird.

<<  Ausgabe 01 | Seite 24  >>