>>
 

Wenn Duchamp meinte, der Künstler der Zukunft werde keine Artefakte mehr schaffen, sondern schlicht auf etwas zeigen und sagen «Das ist Kunst», wird diese Differenz unsichtbar und zur Funktion eines deiktischen Akts des Künstlers – mehr nicht. Der gleichsam göttliche, demiurgische oder schlicht gesagt ‹kreative› Akt bestünde dann in einer Deklaration und Deixis – in einem doppelten Deuten: Das Deuten (auf und von etwas) ist eine Geste, in der Wort und Bild sich berühren – wenn auf etwas gezeigt wird und ein Wort hinzutritt, entsteht Bedeutung: Semantik aus der Mantik. Die Urszene dessen ist sc. ‹Adam und die Tiere›. Und was dort erzählt ist, wiederholt und variiert sich dauernd, so auch bei Duchamps ‹Künstler der Zukunft›.

Die ‹Macht der Deixis› – das wirkt wie eine Erwählung, etwa der Propheten oder von Gottes Sohn. Es ist auch eine politische Geste, wenn der Herrscher deklariert, der da ist der Feind, die Achse des Bösen. Etwas heller zeigt sich das im Gebrauch der Hostie mit den Worten «Das ist mein Leib»; oder wenn Johannes der Täufer auf Christus zeigt: «Jener muss wachsen…». Etwas schlichter geschieht das bei Ärzten, wenn sie auf ein Bild zeigen und sagen: «Das ist dies, nicht jenes». Oder wenn – in Tradition von Joseph beim Pharao – die Analytiker Träume deuten als wären sie ein Rebus und sagen: «Dieses ist in Wirklichkeit jenes – oder alles im Grunde immer nur eines».

In dieser basalen Differenzierung der Wahrnehmung setzen solche ästhetischen Strategien ein, die diese Diskriminierung problematisieren und zum Gegenstand von ästhetischen Interventionen und Praktiken machen: wenn die Wahrnehmung irritiert und verunsichert wird – schon in Reliquienpräsentationen. Was wird ein Körperteil eines vermeintlich Heiligen, wenn es als Körperteil präsentiert wird? Verwandtes geschieht mit artifiziell überformten Schädeln der Feinde oder Ahnen (Neuirland, Jericho). Der kunstlose, an-ästhetische Grenzwert scheint zu sein, wenn ein Mensch stirbt: Wird der Tote zum Bild des Lebenden, bis zur ikonischen Präsentation in der Aufbahrung?

Ob man die liminale Diskriminierung von Ding und Bildding als Wahrnehmungsurteil analysieren sollte, scheint mir fraglich. Denn dann würde sie bereits als Prädikation und das Ergebnis als Proposition konzipiert (in Analogie zu sprachlichen Urteilen, deren Schema damit dem sog. Wahrnehmungsurteil eingeschrieben würde). In Erinnerung an Hogrebe wäre zu unterscheiden, dass man es liminal mit ‹mantischen› Phänomenen zu tun hat, nicht schon mit semantischen: mit Deutung, (Ding-)Bedeutsamkeit und Differenz, die nicht schon linguistisch, propositional oder begrifflich konzipiert sind (oder werden sollten, wenn man keine retrospektive Überrationalisierung betreiben will).

<<  Ausgabe 01 | Seite 25  >>