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Das Fehlen von Wörtern muss nun aber nicht heissen, dass es für das A.T. oder die israelitische Kultur die entsprechende Sache nicht gegeben hat; zuweilen kann man ja auch von einer Sache zwischen den Zeilen reden oder die Sache ‹hinter› etwas oder in anderen Zuständen, als sie uns bekannt ist, entdecken.

Der Mensch als Bild Gottes

Nach diesem kurzen erkenntnistheoretischen Propädeutikum sind wir gewappnet für die Frage nach dem ‹Bild› im A.T. Es ist nun klar, dass wir eine Definition von ‹Bild› nicht finden und dass wir uns eine Anschauung durch Lesen von Erzählungen und Texten, in denen die Sache ‹Bild› vorkommt, erwerben müssen. Wir beginnen mit dem Topos der Ebenbildlichkeit des Menschen. Jeder bildwissenschaftlich Interessierte, dem beim Nachdenken über ‹Bild› das Alte Testament in den Kopf kommt – und da das A.T. an der Wiege unserer Kultur steht, passiert das unweigerlich, sobald man anfängt den Bildbegriff geschichtlich aufzuarbeiten – wird zuerst an die Frage der ‹Ebenbildlichkeit› denken und dann an die Aussage, dass Gott den Menschen als sein ‹Bild› schuf; ich rekurriere hier nur einmal auf die deutschsprachigen Übersetzungen:

Gen 1,26
Luther-Übersetzung (1984):
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei [...]

Zürcher Übersetzung (2007):
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich [...]

Bibel in gerechter Sprache (2006):
Da sprach Gott: «Wir wollen Menschen machen – als unser Bild, etwa in unserer Gestalt [...]»

Im Hebräischen stehen nun an der Stelle, an der die deutschen Übersetzungen das Wort ‹Bild› haben, die Wörter ṣælæm und demut. Jede weitere Nachfrage nach einem ‹Bild›-Konzept im A.T., bei dem die Ausgangsstelle Gen 1,26 ff. ist,  muss nun bei der Rückfrage nach dem hebräischen Wort und seiner Bedeutung beginnen.

(a) Bei der Erklärung der Wortbedeutung von ṣælæm und der dahinterstehenden Sache hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht. [3] Einen guten Hinweis auf die Bedeutung des Nomens ṣælæm gäbe ein wurzelgleiches Verb, von dem das Nomen abgeleitet ist. Im Hebräischen ist ein solches Verb zwar nicht belegt, aber im Arabischen gibt es das Verb lm = abhauen, behauen, schneiden, schnitzen; aufgrund der Verwandtschaft der semitischen Sprachen untereinander kann auch das Arabische einen ersten Anhalt geben.

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