Ebd., S. 108.
Ebd., S. 51.
Die Musik, so hält Nietzsche abschliessend fest, muss versuchen «in ihrer höchsten Steigerung auch zu einer höchsten Verbildlichung zu kommen» [14]. Denn sie bietet das bevorzugte Terrain, auf dem sich der Streit zwischen Sein und Erscheinung, zwischen Apollinischem und Dionysischem und schliesslich zwischen Bilderlosem und Bildhaftem abspielt. Diese aporetische Relation ist alles andere als eine zu harmonisierende oder zu überwindende, denn fest steht, dass die Musik «als die Musik selbst, in ihrer völligen Unumschränktheit, das Bild und den Begriff nicht braucht, sondern ihn nur neben sich erträgt» [15]. Allein als Elemente von diesem produktiven und zugleich reibungsvollen Spannungsverhältnis sind Musik, Bild und Begriff in Verhältnis zueinander denkbar.
Imaginative Kraft der Musik
Gottfried Boehm paraphrasierend könnte man behaupten, dass die Frage nach der Ikonizität in Bezug auf Musik sich nicht von selbst versteht. Ihr Sinn ist dunkel. [16] Eine nähere Bestimmung des Begriffs des Bildlichen ist insbesondere im Kontext eines musikalisch-ästhetischen Denkens nötig. Es scheint wiederum unmittelbar selbstverständlich zu sein, dass der Musik eine eigentümliche imaginative Qualität innewohnt, eine sonderbare Fähigkeit die Einbildungskraft mit Vehemenz betätigen zu können. Mit dem auf Musik bezogenen Begriff der Imagination ist weniger das Sprachlich-Abbildliche der Programmmusik oder der Lautmalerei gemeint und auch nicht die Untersuchung der Darstellung von Musikinstrumenten in der Malerei (Musikikonographie). Vielmehr geht es hier um eine grundlegende Reflektion über die imaginative Kraft der Musik selbst sowie über deren Status innerhalb eines bildtheoretischen Diskurses. Denn das Bildhafte spielt in der Musik eine unerwartete Rolle.
Musikalische Werke entspringen einerseits der Imagination – oft einer bildhaften Vorstellung – des Komponisten, gleichzeitig bringen sie Vorstellungsbilder beim Rezipienten hervor. Jeder, der Musik hört, ist mit einer ungeheuren Bilderflut konfrontiert, einer Bilderflut, deren Materialität jedoch nicht visuell wahrnehmbar ist. Vermögens ihrer imaginativen Qualität vermittelt Musik psychologische Bilder, zeichnet gesellschaftliche Seismogramme nach, verkörpert Geschichtsbilder. Musik ist Zeugin von Geschichte, von einer Weltanschauung, von einer Mentalität, sie bietet oft ein Bild – niemals ein Abbild – davon.
Musikalische Kunstwerke sind stets als Mnemosyne einer geschichtlichen Wirklichkeit aufzufassen, sie registrieren das Geschehene auf eine Weise, die keinem anderen Modus der Erinnerung gegeben ist.