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Imagination, so müsste man dem entgegenhalten, ist und bleibt eine offene Kategorie, imago kann vielerlei sein: in der Tat auch etwas Unsichtbares. Das Problem ist jedoch damit noch nicht gelöst. Inwiefern kann in Bezug auf Musik von Bildlichkeit, Ikonizität, imaginativer Qualität die Rede sein? Bedarf Musikästhetik überhaupt eines wie auch immer definierten Bildbegriffes? Wie Nietzsche plastisch hervorgehoben hat, steht fest, dass Musik sich der Bilderwelt gegenüber negativ verhält und dennoch in einer ständigen Beziehung zu ihr steht. Im Sinne einer so verstandenen Aporie wird die Beziehung von Bild und Klang von Theodor W. Adorno in eine dialektische Beziehung überführt.

Bilderlose Bilder

Wie oft bemerkt wurde, ist Theodor W. Adornos Ästhetik aus dem Geiste der Musik gedacht. Viele Denkfiguren seiner Schriften sind aus dem Versuch entstanden, das Vergängliche und Bewegte der Musik als Paradigma künstlerischer Ausdrucksformen philosophisch zu fassen. Seine dialektische Wendung «Kunstwerke sind Bilder ohne Abgebildetes und darum bilderlos» [21] gibt den Anstoss dazu, Musik tout court als Bildkritik zu verstehen und eröffnet die Möglichkeit, die imaginative Kraft musikalischer Werke neu zu bedenken. In seiner Schrift Ästhetische Theorie beschreibt Adorno die Dialektik von Bildlichem und Bilderlosem ausgehend vom Begriff dessen, was er den «Bildcharakter» der Werke nennt. Im Sinne eines sprachähnlichen Moments, eines Moments von nicht-begrifflicher Mitteilung, ist der Bildcharakter der Kunstwerke nicht zwingend an das Medium des Visuellen gebunden: «Als Apparition, als Erscheinung und nicht Abbild, sind die Kunstwerke Bilder.» [22], stellt er lapidar fest.

Wird nun eine scharfe Unterscheidung von Bild und Abbild vollzogen, ist mit Bildcharakter also nicht ein Moment der Nachbildung, der visuellen Verdopplung gemeint, so ergibt sich die Möglichkeit der imaginativen Qualität einer unbildlichen Kunst, wie die Musik sie ohne Zweifel ist: «So wenig die ästhetischen Bilder bündig in Begriffe sich übersetzen lassen, so wenig sind sie ‹wirklich›; keine imago ohne Imaginäres; ihre Wirklichkeit haben sie an ihrem geschichtlichen Gehalt, nicht sind die Bilder, auch die geschichtlichen nicht, zu hypostasieren.» [23] Mit dem Bildcharakter wäre somit eine Dimension gemeint, die weder visuell noch begrifflich, weder bloss dinghaft noch rein ideell, sondern über die jeweiligen Medien hinweg als ästhetisches Surplus vollzogen wird. Auch Musik nimmt an einem so zu definierenden Bildbegriff teil und zwar vermögens ihrer imaginativen Qualität. Doch was ist der Inhalt dieser «bilderlosen Bilder»?

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