Michael Polanyi, The Tacit Dimension, Garden City 1966.
In der Betrachtung der Zeichnung aus Distanz und im Vergleich der Zeichnung zu anderen Arbeiten kann entschieden werden, welche Bedeutung der Zeichnung zugemessen werden soll. Der Entwerfer entscheidet, ob die Zeichnung seine Sammlung von Werken ergänzt und in die Mappe aufgenommen wird, oder ob es eine Zeichnung ist, die zwar den Zweck erfüllt, im Vergleich zu den anderen Arbeiten aber abfällt.
Der hiermit abgeschlossene erste Versuch der Beschreibung des Entwurfsprozesses einer Zeichnung macht deutlich, dass die im Verlauf der Herstellung der Zeichnung vollzogenen Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen des Bewusstseins stattfinden. Während die Initiierungsphase und Teile der Anfangsphase eine strategische und analytische Ausrichtung haben und deshalb einen bewussten und verbalisierbaren Entscheidungsprozess einsetzen, bewegen sich vor allem die Entscheidungen der Formfindung in der Phase der Hauptaktivität auf einer Ebene ausserhalb des bewussten Denkens. [17] Diese Entscheidungsprozesse, welche in den Kognitionswissenschaften in den Bereich der Emotion fallen, werden in anderem Zusammenhang auch als tacit knowing [18], implizites Wissen oder Intuition bezeichnet.
Unbewusste Entscheidungen im Entwurf – zweites verbales Experiment
Durch die Anwendung des motorischen Prozessmodells auf die kleinste Einheit der zeichnerischen Handlung, das Ziehen einer Linie, kann das vorherige Experiment erweitert werden. Es ist das Ziel, Entscheidungsprozesse, im Speziellen das Zusammenwirken von unbewusster Beurteilung und bewusstem Bewerten, bei der Bildgenese weiter zu differenzieren. Die Initialisierungsphase beim Ziehen einer Linie, zum Beispiel im Kontext einer fortgeschrittenen Portraitzeichnung, legt das Ziel der Zeichenbewegung fest, das aus der Betrachtung der vorhandenen Linien abgeleitet werden kann. Die Linie soll zum Beispiel eine bestimmte Partie des Gesichts, das bereits grob angelegt ist, präzisieren. Diese Präzisierung soll sich in die Anlage der Gesamtzeichnung einpassen und nicht zu stark aus dem Kontext der bereits vorhandenen Linien hervortreten. Schon bei diesem Versuch der Beschreibung einer bewussten Entscheidungsebene wird klar, dass es sich bei diesen Kriterien nur um allgemeine Erfahrungen des Zeichnens handeln kann und dass diese Vorgaben einer sehr unspezifischen Vorstellung einer Zeichnung entsprechen.
Anders ausgedrückt helfen die genannten Kriterien und deren verbale Beschreibung nur sehr bedingt, die Linie, die gezogen wird, erfolgreich auszuführen.