>>

Praktiken der Sozialitätsstiftung zwischen Lebenden und Toten

Für Kathrin [1]

In the course of the reception of Marcel Mauss’ Essai sur le don, the gift has been increasingly regarded as an element that subverts the reciprocal economy of exchange. Images are often utilized as representations of death and can, therefore, paradigmatically expose the asymmetrical relation intrinsic to gift exchange. Roland Barthes shows the entanglement of gift, death, and images in his reflections on the specific structure of the photographic image, while in Jacques Derrida’s emphasis of the phenomenon of mourning this entanglement also plays a central role. Both describe how images establish a kind of gift exchange, within which they take more from the viewer than they give. In this respect, images indicate the asymmetry of an excess of taking that comes along with an excess of giving.

 

Der Gabentausch

In der französischen Rezeptionsgeschichte des berühmten Essays über die Gabe (1925) von Marcel Mauss fehlt es nicht an Versuchen gegenseitiger Überbietung. Dafür stehen die Figuren der exzessiven Verausgabung bei Georges Bataille, das angeborene Prinzip und Schema der Reziprozität bei Claude Lévi-Strauss, die reine und unbedingte Gabe bei Jacques Derrida oder der Parasit bei Michel Serres. Für Marcel Mauss steht es indes ausser Frage, dass sich in der Gabe Freigiebigkeit und Eigeninteresse mischen: Die geglückte Gabe ist eine erwiderte Gabe. Sobald es einer Gabe nicht gelingt, den obsessiven Zwang zur Erwiderung im Geben mit zu erzeugen, hat sie den ihr eigenen Gabensinn verfehlt. Kraft der Melange von Person und Sache ist die Gabe ein Zwischending bzw. eine dingliche Fremderfahrung, die zur exorzistischen Erwiderung zwingt. In den von Mauss untersuchten pazifischen und (alt-) europäischen Gabengesellschaften stiftet der Gabentausch je von Neuem soziale Beziehungen zwischen einander fremden Gruppen und Individuen.

Der Gabentausch ist die kulturelle Praktik der Interaktion und Interpassion. Jede einseitige Gabe, die in Gestalt einer unüberbietbaren Verschwendung, einer reinen oder parasitär missbrauchten Gabe das unaufhörliche Hin und Her der Gaben unterbricht, hat Indifferenz, Verbindungslosigkeit, schlimmstenfalls Feindschaft oder gar Krieg zur Folge.

Ausgabe 01 | Seite 71  >>