Polybios, Geschichte, Buch 6,53, in: Gesamtausgabe, Bd. 1, übers. von H. Drexler, Zürich/Stuttgart 1961.
Richard Weihe, Die Paradoxie der Maske. Geschichte einer Form, München 2004, S. 35.
Vgl. dazu Iris Därmann, Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte, München 1995, S. 178ff.
Maske und Malerei
Die Bedeutung von Maske und Malerei für den Totenkult ist seit jeher bekannt: Die von Plinius berichtete Legende über die Erfinderin der Malerei, die Tochter des korinthischen Töpfers Butades, die aus Sehnsucht den Schattenumriss ihres scheidenden Geliebten auf eine Wand zeichnete, [5] zeugt ebenso davon wie die Funeralplastiken der römischen Gentes, die imagines, die bei Festen und Leichenzügen, pompös geschmückt, von Schauspielern durch die Stadt geführt und ausgestellt wurden, um die Grösse und Gestalt des Verstorbenen und seiner Ahnen zu demonstrieren: Das Bild, so heisst es bekanntermassen bei Polybios, «ist ein prosopon, das mit erstaunlicher Treue die Bildung des Gesichts und seine Züge wiedergibt»[6].
Anders als die Totenbeigaben und der Grabschmuck konnten sich die Masken, sofern sie, zumindest im europäischen Kontext, einen entscheidenden Entstehungsherd für die Entwicklung des Porträts und der Person darstellten, mit der Entstehung des Gemäldes zusehends von der Einbindung in die Praktiken des Gabentausches und damit von einer Sozialitätsstiftung der Lebenden mit den Toten befreien, auch wenn die Blumen, die angesichts des Fotos oder Bildnisses eines Toten arrangiert werden, dies augenscheinlich Lügen strafen. Nicht zufällig zieht Julius von Schlosser eine Verbindungs- und Transformationslinie, die von den römischen imagines zu den mittelalterlichen Votivgaben in Wachs – auf Ähnlichkeit bedachte, plastisch geformte «Körperteile des Menschen bis zur ganzen Figur […] als Dank für Heilung von Gebrechen, für abgewendetes Unheil aller Art» [7] – bis hin zur Fotografie reicht.
Warum Blumen? Die Gabe der Blumen und üppigen Buketts, die noch in unserer Zeit – oft über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg und nicht nur zum Todestag – vor den Fotos Verstorbener aufgestellt und so den Toten selbst dargeboten werden, verbindet, wie auch das Geschenk des Parfums, zwei Dimensionen der Gabe diesseits der nützlichen Funktion: ihre verschwenderische Zwecklosigkeit einerseits und ihre zarte Vergänglichkeit andererseits. Blumen sind das übergängliche Geschenk par excellence, das auf das griechisch-diesseitige Paradies, den Lustgarten etwa bei Xenophon, das heisst auf die endliche Fülle des Lebens ebenso verweist wie auf die Verheissungen des Jenseits und die Unsterblichkeit. [8]
Prosopon, also «das, was gegenüber den Augen (eines anderen) ist» [9] , persona, imago, Maske [10] und Foto fungieren als apotropäische Stellvertreter des Toten, deren Wirkung zwischen Todesinsistenz und Todesindifferenz oszilliert. [11]