>>

Dabei sind sie Empfänger und Geber von Gaben, eingebunden in einen Gabentausch mit den Lebenden. Der Rhythmus der Maske besteht im Hin und Her zwischen Zeigen und Verbergen. Denn die Maske muss den Schrecken, den sie bannen will, zugleich exponieren. [12]

Mit dem medialen Vorrücken «facialer Gesellschaften» [13], der technischen Demokratisierung des Porträts durch die Fotografie und einer steigenden telepathischen Kommunikation unter Abwesenden ist es von da aus nur noch ein kleiner Schritt, die Masken und Bilder des Toten (im doppelten Genitiv) selbst als Gaben des Todes, als Gaben der Sichtbarkeit und des Blicks zu bezeichnen, wie es ein einflussreicher Strang der französischen Bildtheorie von Maurice Merleau-Ponty über Roland Barthes und Jacques Derrida bis hin zu Georges Didi-Huberman u.a. getan hat.

In einer so verstandenen Ökonomie der Bilder, die selbst Gaben sind und in einen Gabentausch mit den Bildbetrachtern involviert sind, können die Bilder ihrerseits einen parasitären, einen einseitigen, zerstörerisch-heimsuchenden oder aber reziproken Gabencharakter annehmen: einen parasitären Charakter, sofern die Bilder mehr nehmen als sie dem Betrachter zu geben bereit sind; einen einseitig-exzessiven, sofern die Bilder keine adäquate Erwiderung zulassen; einen zerstörerisch-heimsuchenden, sofern sie das betrachtende Subjekt verletzen und schliesslich einen reziproken Charakter, sofern es eine Art Balance zwischen den bildlichen Gaben und rezeptiven Gegengaben zu geben scheint. In jedem Fall wird den Bildern nunmehr selbst – und nicht mehr den Toten, die sie repräsentieren und daher auf gewisse Weise auch sind – eine Handlungs- und Affektmacht zugesprochen, die die kontemplative und distanzierte Bildbetrachtung aus der Fassung bringt. [14]

Erstaunlicherweise legen die meisten der genannten Bildtheoretiker Nachdruck auf die Dissymmetrie zwischen Bild und Betrachter im Modus eines verstörenden, wenn nicht zerstörenden Bilderblicks, einer affektiven und traumatisierenden Kraft, die vom Bild selbst ausgeht und die Instanz des selbstmächtigen Betrachters destabilisiert. Sie marginalisieren damit, zumindest auf den ersten Blick, nicht nur die Figuren der parasitären und reziproken Gabe, sondern auch die des Gabentausches in dem von Marcel Mauss und Lévi-Strauss präzisierten Sinne einer Sozialitätsstiftung zwischen Toten und Lebenden.

<<  Ausgabe 01 | Seite 74  >>