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Eine jede Fotografie ist diese Katastrophe, die das fotografische Bild in eine unauflösbare Beziehung mit dem Tod und Barthes’ eigene Trauerarbeit in der Begegnung mit dem Kinderfoto seiner Mutter im Wintergarten je von neuem aus der Fassung bringt. Mit dem Vordringen des Todes ausserhalb von Kult und Religion ist die Fotografie damit zum Ort eines «plötzlichen Eintauchens in den buchstäblichen Tod» geworden, [19] der die Arbeit der Trauer unbeendbar, untröstlich und die Ersetzung des verlorenen Objekts unmöglich macht.

Die zerstörerische Gabe des punctum verhindert, dass die Trauer versandet und der Tote ein zweites Mal sterben muss. Sie ist eine zerstörerische, ja parasitäre Gabe des Toten, die ihn, ohne jede christliche Chance auf Auferstehung, [20] in seinem Tod unwiederbringlich tot sein lässt. Für Jacques Derrida zumindest bezeichnet dies die Paradoxie einer bildlich skandierten Trauerarbeit, die gerade scheitern muss, um zu gelingen. [21] Die Gabe ist an den Tod und der Tod an das Bild gebunden, das vom Tod – «dem Abwesendsten der Abwesenheiten» [22] – seine grösste Macht oder Kraft bezieht, nämlich das Abwesende zu repräsentieren und zum Erscheinen zu bringen.

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