Davon ausgehend muss auch die Kategorie des Narrativen und indirekt auch das realistische Erzählen, das bei der Kategorienprägung Pate gestanden zu haben scheint, neu bedacht werden. Denn gemäß Ricœur führt jeder Versuch, die Zeit narrativ zur Darstellung zu bringen, in seiner radikalsten Form zu einem Grenzgang der Narration.
Wie dies im Rahmen des realistischen Erzählens erfolgen kann, führt Claus-Michael Ort am Beispiel der Selbstkonfrontation des realistischen Erzählens mit dem Bereich des Bildlichen vor. Ort zeigt auf, dass durch die narrative Inszenierung eines Bilddiskurses und das damit einhergehende narrative Abstrafen des Bildlichen das aporetische Moment des Erzählens dargestellt wird. Der inszenierte Bilddiskurs bietet für die Narration eine Möglichkeit, an der Textoberfläche die aporetische Grundstruktur des Erzählens darzustellen. Durch die narrationsinterne Entgegen- und Auseinandersetzung von Bild und Text wird einerseits eine narrative Selbstreflexion vollzogen und andererseits auf ein textexternes Konkurrenzverhältnis verwiesen. Das realistische Erzählen – in seiner Ausprägung als historische Fiktion – kann als selbstreferentielles Erzählen auftreten, d.h. die Vielzahl von selbstreferentiellen Erzählungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hin bringen nur einen dem realistischen Erzählen wesentlichen aporetischen Zug zum Ausdruck.
Der (Um)Weg über das Bild scheint zu neuen Perspektiven auf das realismusspezifische, selbstreferentielle Erzählen zu führen. Eine trennscharfe Unterscheidung von (fremd)referentiellem (prototypisch ‹realistischem›) und selbstreferentiellem Erzählen – wie bei Ricœur vorgezeichnet – kann aufgrund des aporetischen Moments der Narration problematisiert werden. Das aporetische Moment der Narration ist sowohl ‹Ursprung› als auch Bestandteil dieser Unterscheidung, d.h. selbst- und fremdreferentielles Erzählen sind immer nur graduell unterschieden zu denken. So kann die selbstreferentielle Tendenz des Erzählens als Radikalisierung der realistischen Programmatik verstanden werden, quasi als ein Darstellen der dem Erzählen und vor allem dem realistischen Erzählen eingeschriebenen Aporie.
Ausgehend von der revidierten Kategorie des Narrativen liesse sich eine reflektierte Anwendung dieser Kategorie auf Bilder einfordern oder es ließe sich mit dem Blick auf die der Narration zugrunde liegende(n) Aporie(n) die bildkritischen Praktiken als Reaktion auf die mit der Frage nach dem Bild einhergehenden Aporie(n) verstehen.