Ebd., S. 87.
Vgl. ebd., Bd. III, S. 166–185.
Zwei narrative Modi: das historische und das fiktionale Erzählen
Diese kurze Skizze hat zu umreissen versucht, worauf die traditionelle Vorstellung der Kategorie des Narrativen rekurriert und inwiefern die Attribution der Kategorie zur Betonung des Zusammenhalts des Dargestellten einer Verknappung des Narrationsbegriffs geschuldet ist. Mit dem Blick auf Paul Ricœurs Narrationskonzept wird in Folge gegen diese Verengung argumentiert und zu zeigen versucht, inwiefern ein revidierter Narrationsbegriff auch in seiner Anwendung neue Perspektiven eröffnen kann.
In Hinblick auf das realistische Erzählen bieten sich Ricœurs Überlegungen zur Verschränkung von historischer und fiktionaler Narration als theoretischer Hintergrund an. [5] Die Überkreuzung von historischer und fiktionaler Narration resultiert aus Ricœurs Konzept der (narrativen) Mimesis: Er argumentiert, dass «schon der Erfahrung als solcher ein […] Ansatz zum Narrativen zuzugestehen» [6] ist.
Weder die historische noch die fiktionale Erzählung vollziehen eine creatio ex nihilo, d.h. das zu Erzählende ist bereits narrativ verfasst, da es zugleich auch das Erzählte ist. Dies weiter zuspitzend hält er fest, «daß die Zeit in dem Maße zur menschlichen wird, in dem sie sich nach einem Modus des Narrativen gestaltet, und daß die Erzählung ihren vollen Sinn erlangt, wenn sie eine Bedingung der menschlichen Existenz wird». [7] Auf die Geschichtsschreibung bezogen heisst dies, dass sie immer schon narrativ verfahren muss, um eines Gegenstandes habhaft zu werden, der wiederum als narrativ verfasst zu denken ist. Als Beispiel dieser Verschränkung sei hier der Kalender oder die Generationenfolge genannt, deren ‹Ursprung› eine (narrative) Setzung ist: Weder das axiale Moment des Kalenders noch das erste Glied einer Generationenreihe kann gefolgert werden. Es ist eine willkürliche Setzung und gemäß Ricœur wesentlich Resultat einer oder mehrerer Erzählungen. [8]
Beide narrativen Modi – die historische und die fiktionale Narration – referieren auf die Zeitlichkeit, da sie die Zeit im Modus der Narration prä- und refigurieren und die Zeit dadurch erst zur menschlichen wird. So gilt die Bestimmung der Geschichtsschreibung, dass Methode und Gegenstand narrativ verfasst sind, auch für die fiktionale Erzählung. In der und durch die Narration Dargestelltes und die narrative Darstellung selbst müssen strukturanalog gedacht werden. Eine dies miteinbeziehende Kategorie des Narrativen müsste folglich auf eine in der Strukturanalogie von Gegenstand und Methode festgeschriebene Offenheit verweisen und das Aufrechterhalten, nicht das Versöhnen einer wesentlichen Spannung betonen.