Ricœur, Zeit und Erzählung (Anm. 6), Bd. III, S. 437.
Als inneren Grenzgang der Narration nennt Ricœur das Verstummen derselben, was in radikaler Form der Unerforschlichkeit der Zeit Ausdruck verleiht: Die der Narration wesentliche Vermittlung kann nicht mehr greifen, die Narration fällt auf sich zurück oder, noch radikaler, von sich ab, da sie wiederum von der Zeit zeugt und somit Teil der Unerforschlichkeit ist. Den äusseren Grenzgang bildet die Überfremdung der narrativen Gattung, d.h. der Umbruch zu anderen diskursiven Gattungen. [17]
Beide Grenzgänge bezeichnen nicht nur die Grenzen der Narration, sondern auch der Narrativität überhaupt und bestimmen somit auch die Reichweite der Kategorie des Narrativen. So scheint das Scheitern der Narration als Zeitdarstellung indirekt sehr aussagekräftig zu sein, «denn nur in dieser Suche ist die Antwort der Poetik der Erzählung auf die Aporetik der Zeit eine wirklich treffende». [18] Dieses produktive Moment der Suche, die Produktivität der Aporie soll in Folge betont werden, wenn gezeigt wird, wie mit Blick auf die Aporie Bild und Narration einander gegenübergestellt werden können und inwiefern die Aporie Grundlage und Bestandteil einer (selbst)kritischen narrativen Strategie ist.
Was bedeutet diese Wende hin zur Aporie für die Kategorie des Narrativen? Inwiefern kann noch von Linearität und Kohärenz gesprochen werden, wenn es um die narrative Darstellung der Zeit geht? Muss nicht gerade das historische fiktionale Erzählen, das prototypische Erzählen im literarischen Realismus, in ausgezeichneter Weise aporetisch gedacht werden? Diese wenigen Fragen weisen bereits den Weg Richtung Revision der Kategorie des Narrativen: Nach wie vor kann mit ihr auf eine bestimmte Form von Komposition oder Konfiguration (eine als Erzählung vorliegende Einheit) referiert werden. Ebenso muss aber in einem zweiten Schritt die damit erkaufte Unfreiheit bedacht, d.h. das verbergende Moment dieser Einheit anvisiert werden. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die Hierarchisierung der Begriffe ‹Bild› und ‹Narration›, die in einer Benennung eines Bildes als narrativ erfolgt, in Frage gestellt werden kann. Bild und Narration können nun analog befragt werden und, falls Ricœurs Überlegungen auch auf die Zeitdarstellung im Bild (oder allenfalls: als Bild) übertragbar sind, lässt sich ein ihnen gemeinsames produktives Moment anvisieren. So wenig die Narration nach Ricœurs Ansatz als abgeschlossenes Gebilde, sondern als durch die Lektüre jeweils neu und anders erfolgend gedacht werden kann, so führt auch die Kategorie des Narrativen einen Verweis auf eine irreduzible Offenheit mit sich.