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Der narrativ inszenierte Bilddiskurs im realistischen Erzählen

Nach der Revision der traditionellen Kategorie des Narrativen, die dem Kohärenzprinzip geschuldet ist, kann nun in concreto die Verbindung von Narration und Aporie in den Blick genommen werden. Dabei soll das kritische Potential dieser Verbindung und seine Ausprägung gegen Ende des literarischen Realismus hin thematisiert werden. Gerade mit Blick auf die in die Narration transferierte Aporie als Resultante des Versuchs, die Zeit zur Darstellung zu bringen, lässt sich das (selbstreferentielle) Erzählen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hin nicht als Verrat der realistischen Programmatik, sondern als konsequente Fortsetzung derselben verstehen. Darzustellendes und Darstellung zeichnen sich durch dasselbe aporetische Strukturmerkmal aus, so dass das In-die-Breite-Gehen der Narration in der Form von permanenten Selbstthematisierungen (das Erzählen wird zu einem Erzählen des Erzählens etc.) die Aporetik der Zeitdarstellung darstellt. Das Scheitern der Narration lenkt die Aufmerksamkeit auf die Narration und ihren Gegenstand (im weitesten Sinn: die Zeit). Inwiefern ist gerade die dem realistischen Erzählen zugeschriebene Fremdreferenz eine latente Selbstreferenz und das selbstreferentielle realistische Erzählen eine Darstellung dieses Zusammenhangs?

Der doppelte Grenzgang der Narration, der als Antwort die Aporie der Zeitdarstellung anzeigt, d.h. auf die unumgängliche Verschränkung von Zeitrefiguration und -präfiguration verweist, bildet hier den Einsatzpunkt. So zeigt sich im spätrealistischen Erzählen die unter der Oberfläche des realistischen Erzählens verborgene Spannung oder Aporie, die es hinter der Folie des historischen Erzählens, das sich als Nicht(mehr)-Fiktion inszeniert, zu verbergen sucht. Die Aporie wird förmlich sichtbar, indem das Ungleichgewicht von Erzählen und Erzähltem auf die Unmöglichkeit der Zeitdarstellung und eine Potenzierung der Aporie im Erzählen verweist. Dass diese Veranschaulichung des aporetischen Wesens der Narration über den Weg des Visuellen führt, ist signifikant: Das Visuelle oder Bildliche bildet das bevorzugte Objekt des realistischen Erzählens, um es durch eine Zitation erscheinen zu lassen und zugleich in seine Schranken weisen zu können. In Folge soll unter diesem Aspekt die Gegenüberstellung von Bild und Schrift im realistischen Erzählen thematisiert werden, um die narrative (Re)Formulierung der Frage nach dem Bild in ihrer metanarrativen Funktion verstehen zu können.

 
<<  Ausgabe 01 | Seite 64  >>