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Was ist eine Kontur, was eine Hautfalte, wo verläuft im Bild ein Augenlid oder ein Nasenflügel? Solche konfigurativen Entscheidungen werden in der computerisierten Kompositbildmontage entweder der nachzeichnenden Hand oder der Voreinstellung einer entsprechend algorithmisierten Mustererkennung anvertraut. Das Kompositbild zeigt dann zwar gemeinsame Merkmale der in ihm montierten Bilder, weil es sie aber nicht bloss darstellen kann, sondern allererst erzeugen muss, handelt es sich nicht um Konvergenzen zwischen den synthetisierten Bildkonfigurationen, sondern um die Hervorbringung pictorialer Überschneidungen durch das Konstruktionsverfahren.

Es geht in den programmatischen Ansprüchen des Kompositbildes ursprünglich aber nicht um die Visualisierung pictorialer Gemeinsamkeiten, also nicht darum, bloss zu sagen, in jedem der montierten Bilder kam an dieser und jener Stelle jeweils ein Farbauftrag vor. Der Anspruch ist vielmehr, die Gemeinsamkeiten der abgebildeten Figuren (Physiognomien) oder – in einer korrigierten Fassung – zumindest die Gemeinsamkeiten der verwendeten Bilder (Portraits) zu zeigen, es geht also um die bildtechnologische Visualisierung konfigurativer Konvergenzen. Die im Beispiel erzeugten Punkte sind jedoch in konfigurativer Hinsicht völlig willkürlich, sie greifen aus den überlagerten Figuren beliebige Punkte heraus, weil sie sich aus der jeweils gewählten Methode der Bildkomposition ergeben.

Wenn ich nun entsprechend zwei unterschiedliche Physiognomien habe, in denen jedes einzelne graphische Merkmal, jeder Punkt in seinem jeweiligen Bezugssystem eine einmalige Position einnimmt, und sie entsprechend einer ungefähren Übereinstimmung ihrer Konturen übereinanderlege, dann zeigt sich die Beliebigkeit dessen, was in der Überschneidung als gemeinsames Merkmal gilt [Abb. 8].

Alle schwarz gefärbten Überschneidungen haben die kombinierten Bilder gemeinsam. Aber es ist zugleich evident, dass die vom Komposit demonstrierten Gemeinsamkeiten keine konfigurativen Konvergenzen der verglichenen Physiognomien oder ihrer Bilder sein können, auch wenn in der Bildrezeption nach einer bestimmten Anzahl montierter Bilder irgendwann der Eindruck eines Gesichts oder einer Figur entstehen kann.

Ist damit aber der gesamte Anspruch der Kompositphotographie auf eine Bild-Verallgemeinerung hinfällig? Können sich pictoriale und konfigurative Bildmerkmale nicht ergänzen? Systematisch betrachtet gibt es nur eine Möglichkeit dafür, dass sich pictoriale und konfigurative Gemeinsamkeiten im Komposit decken, das ist dann der Fall, wenn identische Bilder montiert werden. Das widerspricht jedoch, wie bereits erwähnt, dem heuristischen Anliegen des Verfahrens, weil so ja rein tautologisch argumentiert würde.

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