Wittgenstein rehabilitiert dabei den Einzelfall vor dem Allgemeinen [16], allerdings mit der Pointe, dass allgemeine Ausdrücke, wie allgemeine Bilder, für jede Weise ihres Zustandekommens selbst auch als singuläre Objekte unter vielen möglichen anderen verstanden werden müssen. Verfahren der Kompositbildung reduzieren daher nicht die vorhandenen Bildmengen, indem sie einfach repräsentative Zusammenfassungen generieren, sondern sie erweitern vielmehr die bestehende Komplexität der Bilder und ihrer Umgangsformen um neue, ineinander übergreifende «Bildspiele» [17], die verschiedene Deutungen, Gebrauchsweisen und Einsichten zulassen. So liefert Wittgenstein ein Beispiel dafür, wie die methodischen Aporien kompositionaler Bildsynthesen heuristisch produktiv werden können.
Wittgenstein hat den bisher vorrangig sprachphilosophisch rezipierten Begriff der Familienähnlichkeit [18] offensichtlich aus seiner Beschäftigung mit Galtons Kompositphotographie bezogen. [19] Dabei berief er sich nicht nur direkt auf Galton [20], sondern praktizierte selbst auch mit komponierten Photographien, so dass sich davon ausgehen lässt, dass Wittgenstein die technischen Feinheiten des Verfahrens aus eigener Anschauung kannte. [21] Eine bei Moritz Nähr in Auftrag gegebene Photographie zeigt etwa die drei Schwestern Ludwig Wittgensteins und ihn selbst in einem Kompositbild [Abb. 11].