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Der Begriff der Familienähnlichkeit klingt irreführend anschaulich, weil er Konnotationen nach physiognomischer und körperlicher Ähnlichkeit weckt. Familienähnlichkeit könnte dann so verstanden werden, als ginge es hierbei um die Bezeichnung eines gemeinsamen Merkmals verschiedener Individuen einer Rasse oder Art wie bei Galton oder harmloser, einer verwandtschaftlichen Gruppe wie einer Familie. [22] Offensichtlich hat der Begriff aber einen bildlogischen Kern gerade wegen seiner Herkunft aus Galtons Kompositphotographie. Er handelt dann nicht mehr von den Personen, die auf den Bildern zu sehen sind [23],  sondern von den Beziehungen zwischen den Bildern, wie sie im Kompositbild zur Darstellung kommen. Der Begriff thematisiert also eine Zwischenbildlichkeit, die von Wittgenstein dann auf das Problem jeder Verallgemeinerung, auch der begrifflichen, bezogen wird [24].  In der Einschätzung des artifiziellen Charakters des photographisch verallgemeinernden Kompositbildes stimmt Galton noch mit Wittgenstein überein [25].

Wittgenstein nutzt im Gegensatz zu Galton jedoch die Komposittechnik zur Dekonstruktion philosophisch begrifflicher Allgemeinheitskonzepte, indem er den entstehenden Ähnlichkeitsfiguren nicht mehr einen repräsentativen Status zugesteht, sondern, ausgehend von ihrer bildlichen Autonomie, auch die unvergleichbaren Qualitäten konkreter Einzelfälle rehabilitiert.
Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit bezeichnet dabei das simultane Auftreten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, übertragen in die Sprache der logischen Operatoren eine Relation, die Adjunktion und Konjunktion zwischen verglichenen Elementen zusammenzieht, die und und oder zugleich ist. Entscheidend ist dabei jedoch, dass diese Relationen in der Kompositphotographie und bildlogisch verwandten Formen der Bildkombinatorik zwischen verschiedenen Bildqualitäten entstehen, wie ich oben darzulegen versucht habe.

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