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In den Ausführungen zum Begriff geht Wittgenstein dabei regelmässig zum Galtonschen Problem einer physiognomischen Verallgemeinerung über. [36]

Wittgenstein überträgt diese aus einer Bildtechnologie bezogene Kritik an Allgemeinausdrücken aber nicht nur auf den strategisch gebrauchten Begriff des Spiels, der ja selbst bereits als Synonym der spezifischen Indeterminismen ikonischer Kompositionalität gelesen werden kann, sondern ebenfalls auf mentale Begriffe wie den der Vorstellung:
«Aber wir sind geneigt zu denken, dass die allgemeine Vorstellung von einem Blatt so etwas wie ein visuelles Vorstellungsbild ist, jedoch eines, das nur das enthält, das allen Blättern gemeinsam ist (Galtons zusammengesetzte Photographie).» [37] Diese Annahme, dass ein allgemeines Bild ausschliesslich das enthielte, was allen verwendeten Komponenten gemeinsam ist, dass es sozusagen vollständig aus Gemeinsamkeiten bestünde, hält Wittgenstein jedoch für eine irrtümliche «Neigung des Denkens», eine Kritik, die direkt an die naturwissenschaftlichen Prämissen der Bildtechnologie adressiert ist: «Unser Streben nach Allgemeinheit hat eine weitere Hauptquelle: unsere Voreingenommenheit für die naturwissenschaftliche Methode.» [38]  Dieser Methode attestiert Wittgenstein eine bedenkliche Ignoranz des Singulären: «Anstelle von ‹Streben nach Allgemeinheit› hätte ich auch sagen können ‹die verächtliche Haltung gegenüber dem Einzelfall›.» [39]

Es ist bemerkenswert, dass die Konzeption der Familienähnlichkeit durch ihren Galton-Bezug zugleich die wissenschaftlich-technischen Objektivitätsansprüche einer physiognomischen Verallgemeinerung reflektiert. Wittgenstein verwandelt die Aporien des Kompositbildes in eine (bild-)philosophisch inspirierte Kritik am Verständnis von Allgemeinbegriffen, von Methoden und Technologien der Verallgemeinerung. Er setzt ihnen den Plural der singulären Bilder und die Singularität der Bildkonstruktionen entgegen, deren Unschärfe in zweierlei Hinsicht das ist, «was wir brauchen»: Einerseits weil sie jedem Komposit eine andere und neue Sicht der überlagerten Bilder abgewinnt, die durchaus ihrem Potential ikonischer Sinnstiftung entspricht. Andererseits indem sie aufzeigt, dass die Konstruktion bildlicher Universalität nicht gelingen kann, sondern vielmehr auf «anderen primitiven, allzu einfachen Vorstellungen von der Struktur der Sprache» [40] gründet, die sich in den Erwartungen an das Kompositionsverfahren reproduzieren.

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