>>

So versteht Wittgenstein Identitätsaussagen auf der Grundlage von Bildern eher als Lektüre eines Albums, [41] das so und anders arrangiert werden kann und dabei letztlich immer ‹autonome Gebilde› hervorbringt, weil jede Kombination die sichtbare Überlagerung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Bildern anders zusammenstellt. Wittgensteins bildphilosophische Rezeption der klassischen Kompositphotographie kann in verschiedene Richtungen weitergedacht werden, unter anderem als grundsätzliche Kritik an den Weiterentwicklungen kompositionaler Bildtechniken wie zum Beispiel der Biometrie. Alle Programme und Ideologien des Kompositbildes, die von der Erwartung einer Abbildbarkeit allgemeiner Merkmale zwischen Bildern ausgehen, führen demnach in die beschriebenen Aporien.

Zwar können jeweils suggestive Bildkomposite erzeugt werden, aber der Anspruch des Verfahrens, damit tatsächlich eine Summe von Exemplaren mit den Mitteln des Bildes zusammengefasst zu haben, ist nicht einlösbar.Denn während pictoriale Bildmerkmale, wie die gleichbleibende Position eines Bildausschnitts vom Bildrand oder die numerisch codierte Pixelposition im digitalen Bild zwischen einer Bildergruppe durchaus überblendet oder summiert werden können, trifft dies für solche Bildpartien nicht zu, die in ihren jeweiligen Ursprungsbildern eine konfigurative Funktion haben. Weil jedoch in die technische Bildsummation diese beiden systematisch verschiedenen Merkmale konstitutiv eingehen und auch verfahrenstechnisch nicht getrennt werden können, enthält das Kompositbild immer diese auseinander strebenden Kräfte. Wenn Kompositbilder jedoch vor allem pictoriale Gemeinsamkeiten und konfigurative Unterschiede zwischen Bildern undifferenzierbar zusammenfassen und demonstrieren – wie hier vertreten wurde – so sind sie notwendig unscharf und führen zu einem Plural ‹autonomer Gebilde›, die durchaus bereichern können – aber im Sinne der Identifikation oder quasi-statistischen Bildverallgemeinerung notwendig scheitern müssen.

 

Ulrich Richtmeyer: Studium der Freien Kunst an der Bauhaus Universität Weimar (Diplom); anschliessend Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2006. Promotion mit der Arbeit «Kants Ästhetik im Zeitalter der Photographie» (Transcript 2009). Zwischen 2007 und Anfang 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam mit einem Drittmittelprojekt (ThyssenStiftung) zu «Wittgensteins Bilddenken».

<<  Ausgabe 01 | Seite 137  >>