Es handelt sich dabei um eine besonders scharfe Auffassung photographischer Ähnlichkeit, weil hier ein photographisches Bild in seiner Beziehung zu anderen Bildern bilanziert wird und es ist ein besonders komplexes Konzept von Ähnlichkeit, weil die abgebildeten Objekte (die montierten Bilder) gemäss der Programmatik des Kompositbildes auch bereits untereinander in jenen Ähnlichkeitsrelationen stehen müssen, die man zwischen den auf ihnen porträtierten Personen unterstellt. Wenn Galtons Kompositbilder in Bildgruppen präsentiert werden, laden sie zwar dazu ein, das Kompositbild an seinen Zutaten zu überprüfen. Die angebotene und vermeintlich kausale Beziehung zwischen den gezeigten Bildern beruht jedoch auf einem Missverständnis.
Denn es werden im Kompositbild ja nicht die gezeigten Einzelbilder synthetisiert, sondern nur deren Reduktionen. Die angeführten Bilder erscheinen aber in vollständiger Belichtung und damit in einer Qualität, die sie für die Montage keinesfalls haben dürfen. Vielmehr müssen die im Kompositverfahren montierten Bilder notwendig unterbelichtet sein, weil sie sonst ein vollständig schwarzes (überbelichtetes) Kompositbild erzeugen. Diese reduzierte und damit höchst artifizielle Beschaffenheit der komponierten Bilder ist eine notwendige Bedingung ihrer Synthese und muss deshalb als ein erstes wichtiges Merkmal hervorgehoben werden.
Photographiegeschichtlich betrachtet hat das Kompositbildverfahren mit den Arbeiten Étienne-Jules Mareys [Abb. 4] die photographische Mehrfachbelichtung gemein. In der Gegenüberstellung wird aber auch die unterschiedliche Intention sichtbar. Mareys Mehrfachbelichtungen lassen sich zwar als Kompositbilder auffassen, sie erheben aber nicht den Anspruch etwas zu verallgemeinern. Vielmehr versuchen sie anhand photographischer Sequenzierungen Bewegungsabläufe zu differenzieren, wobei Überlagerungen unvermeidlich, aber genaugenommen auch unerwünscht sind. [4]
Was in ihnen auf Grund der technischen Ähnlichkeit zur Kompositbildmontage als motivische Überlagerung wiederkehrt, ist vor allem der bewusst neutral gehaltene Bildhintergrund, der Marey selbstverständlich nicht interessiert hat. Umgekehrt Galton: Er möchte gerade über das, was sich durch die kompositionale Mehrfachbelichtung im Bild möglichst häufig motivisch überlagert, etwas darstellen, von dem er hofft, dass es auch in den porträtierten Personen als Charaktereigenschaft, Gattungsmerkmal etc. wiederkehrt. Entscheidend ist für Galtons Verfahren jedoch, dass die porträtierten Physiognomien dabei niemals den Status des Bildhintergrundes erreichen, weil ja, anders als bei Mareys Vorhang, nicht immer das gleiche Gesicht aufgenommen werden soll. Das ist ein zweites wichtiges Charakteristikum der Kompositphotographie, sie setzt immer verschiedene Bilder zusammen.