Das Greifenmotiv auf dem Papyrus Artemidorus
Das ‹Bekanntwerden› des Artemidorus-Papyrus kann getrost als eine der grössten papyrologischen Sensationen der letzten Jahre bezeichnet werden, ein Umstand der nicht zuletzt befeuert wurde durch die heftige Debatte um seine Echtheit, die unmittelbar darauf eingesetzt hat. Diese sich zur Querele steigernde Auseinandersetzung hielt nicht nur die Fachleute in Atem, sondern schaffte es bis in die Feuilletons vieler Tageszeitungen. [1] Im Zuge der schmuck gestalteten und wissenschaftlich vorbildlichen editio princeps wurde jedoch mit Hilfe der C14-Methode ein entsprechend antikes Alter der Payprusrolle festgestellt. Auch aus philologischer Sicht konnten viele der Bedenken ausgeräumt werden, der Papyrus sei lediglich eine geschickt gemachte Schwindelei des griechischen Fälschers Konstantinos Simonides aus dem 19. Jahrhundert. [2]
Das Misstrauen einiger Gelehrter rührt wohl nicht zuletzt daher, dass «alles, was der Papyrus enthält, neu ist», [3] wir es also mit einem Dokument «hors normes à tous les points de vue» [4] zu tun haben.
Zum Namen und Inhalt des Papyrus Artemidorus
Namensgebend für den Papyrus ist ein auf der Vorderseite (Recto) erhaltener Text, in dem der Beginn des 2. Buches einer ursprünglich 11-bändigen Erdbeschreibung (Geographoumena) des Artemidorus von Ephesos erkannt wurde, einem Werk, das in der Antike weite Verbreitung fand, bisher aber nur in wenigen Zitaten überliefert war. In der Fassung des Papyrus Artemidorus ist dem Text zudem ein Proömium vorangestellt, ein Vorwort von «barocker Obskurität», [5] in dem ein Lobgesang auf die Tätigkeit des Geographen gehalten wird. Artemidorus’ zweites Buch der Erdbeschreibung hat die iberische Halbinsel zum Thema. Passend dazu findet sich in den Text des Papyrus eine kartographische Darstellung integriert, die wohl Spanien darstellt. Sie kann damit als die «älteste erhaltene griechische geographische Karte» gelten. [6]
Weiterhin sind auf der Vorderseite des Papyrus menschliche Porträtköpfe sowie Detailstudien von Händen und Füssen in verschiedenen Ansichten und Posen dargestellt (Abb. 1). Ihr Zusammenhang zu dem Geographiewerk bleibt jedoch rätselhaft. Möglicherweise verdankt der Papyrus diese Skizzen einer späteren Benutzungsphase. [7] Vorstellbar wäre, dass der ursprüngliche Plan aufgegeben wurde, eine illustrierte édition de luxe von Artemidoros’ Geographoumena zu erstellen, und die Papyrusrolle in der Atelierpraxis der geographischen Zeichner als Skizzenbuch wiederverwendete wurde.