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Letzteres untersucht Thomas Brandstetter am Beispiel von Visualisierungen von Flüssigkristallen. Ausgerechnet diese anorganischen Gebilde sollten bis ins 20. Jahrhundert – im Dienste einer mechanistischen Auffassung und gegen neovitalistische Tendenzen – Wachstum und Stoffwechselprozesse von Lebewesen erklärbar machen. Die Kristallmodelle sind als Assemblagen von Theoremen, Bildern, Diagrammen und Texten aufzufassen. Kohärenz zwischen diesen multimedialen partiellen Beschreibungen werden bisweilen durch ein dichtes Verweissystem untereinander gewährleistet, sowie durch die Mobilisierung bestimmter Bedeutungsfelder aus der zeitgenössischen Kinokultur. Bilder lassen sich in dieser Perspektive als Bestandteile für die Konstitution von Modellhaftigkeit auslegen. In diesem Fall steuern sie eine ganz bestimmte Facette bei: Bilder, insbesondere kinematographische wie sie beispielsweise der Physiker Otto Lehmann anfertigte, eigneten sich dafür, die Kristalle «lebhaft» erscheinen zu lassen. Allerdings konnte dieser Eindruck auch an den Punkt führen, wo die Kristalle nicht mehr nur als Modelle des Lebenden, sondern als tatsächlich lebend angesehen wurden (z.B. durch Ernst Haeckel). Unter der Prämisse, dass Modelle nie denselben ontologischen Status wie das durch sie zu Erklärende haben dürfen, taugten sie sodann nicht mehr als Modelle oder Denkschemata für die mechanistische Erklärung biologischer Phänomene. Somit war für die erkenntnistheoretische Seite der Kontroverse die Markierung des «Als ob» wesentlich.

Entlang der Rhetorik der Lebendigkeit lassen sich auch ‹Strichmännchen› bzw. jene konstruktiv-umrisshaften Darstellungen von Menschen, wie sie in der Proportions- und Bewegungslehre seit der Renaissance entwickelt wurden, diskutieren. Pirkko Rathgeber erarbeitet für diesen Phänomenbereich die Abstraktion von der Naturbeobachtung und die Reduktion auf das rechte Mass als Schlüsselmomente der Modellhaftigkeit. Als Modelle machen die schematischen Darstellungen Gesetze greifbar und dienen als visuelle Instrumente dem Erstellen von Entwurfszeichnungen. Produktiv erweisen sich diese schematischen Darstellungen aufgrund ihrer Variabilität und Bewegungsevokation mittels Linien. Genauer handelt es sich um Achs- sowie Umrisslinien. Letztere sind der Sichtbarkeit zugeneigt, während erstere die nicht direkt einsehbare Gliederlage markieren. Man könnte abstrakter auch von der Kombination von Anschauung und Konstruktion sprechen, die gemeinsam imstande sind, eines der langlebigsten künstlerischen Anliegen zu befördern, nämlich den Bewegungsausdruck bzw. die Animation. Dafür seien die schematischen Darstellungen laut Albrecht Dürer auf verschiedene Art zu «biegen». Rathgeber zeigt auf, dass dies bis in die Gegenwartskunst relevant bleibt.

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