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Es braucht immer weitere Bilder, um sich dem Modell des Sozialen anzunähern.

Unter diesem Vorzeichen diskutieren Johannes Bruder und Il-Tschung Lim Wolfgang Petersens Film Outbreak (1995). Die implizierte Sozialtheorie steht dort mit der «Strategie» des Virus, der Infektion, in Verbindung. Die im Film präsentierten Visualisierungen des einzudämmenden Motaba-Virus weisen – analog zur literarischen Trope – ein Changieren auf (hier nun zwischen Bild- und Modellhaftigkeit), das erst eine gewisse «Bewegungsfreiheit» für Reartikulationen und -interpretationen ermöglicht. Das Produzieren von Sichtbarkeit in den Wissenschaften beinhaltet ein Zurichten (Vereinfachung und Strukturierung) des Phänomens. Dieses kann den individuellen Organismus darstellen (Bild sein), oder den Status eines Referenzphänomens erlangen (Modellorganismus werden), wenn die professionelle Beurteilung der gefundenen Verbildlichung eine derartige Ausweitung des Gültigkeitsbereichs unterstützt. Weil die Viren blossen Auges nicht sichtbar sind, avanciert im Film die Bildschirmdarstellung der labortechnisch gezüchteten Kultur zum Modell der Spezies. Zugleich wird «Mr. Motaba» anthropomorphisiert und zum feindlichen Gegenüber erklärt oder als Vorbild für das eigene Handlungsmuster genutzt.

Eine vergleichbare Einfühlung durch Nachahmung (in einem sicheren Umfeld) wird im künstlerischen Beitrag von Jane Prophet thematisch. Ausgehend vom Erlebnis, Opfer eines Stalkers geworden zu sein, und von den Briefen der Psychiatriepatientin Emma Hauck (1878-1920), beschäftigt die Autorin sich mit zwanghaftem Schreiben, indem sie dieses bis zur physischen Erschöpfung nachempfindet. Wenn man ein Phänomen, das bekannte Aspekte aufweist, die zu weiteren Studien benutzt werden können, als Modell auffasst, so können auch die schriftlichen Ergebnisse von Hauck und dem Stalker als solche angesehen werden: die Schriftstücke als Anhaltspunkte für Psychosen. In ihrer praktischen Arbeit verfolgt Prophet das Ziel, die Psychose über vorab festgesetzte Regeln zu modellieren, dieses ‹Programm› auszuführen, um die Krankheit zu verkörpern und sich letztlich zu wappnen. Diese Aneignung eines anderen mentalen Zustandes geschieht über ein repetitives Schreiben bzw. über das Extrahieren von Wörtern aus Briefen. Diese Wörter und Phrasen bilden den Ausgangspunkt für das «Googlen» von assoziativ passenden abgebildeten Objekten im Internet. Daraufhin versucht die Künstlerin, möglichst ähnliche Objekte online zu erwerben.

Modelle können eine Vielzahl von Funktionen erfüllen: sie können als symptomatischer Ausgangspunkt an den Beginn von Nachforschungen gesetzt werden, wie im Falle Prophets; sie können aber auch instrumentellen Charakter annehmen oder als Argumente dienen. 

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