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Die Thematisierung des Bildträgers ist oft mit dem Blick auf moderne, abstrakte, flache, in ihrer Materialität gebundene und diese zeigende Bilder verbunden worden. Die selbstreflexive Kunst der Moderne mache den materiellen Träger sichtbar, den die ‹idealistische› Malerei der neuzeitlichen Tradition verdrängt habe, um dem Schein der Bildtiefe Platz zu machen. Die Perspektive gilt als Paradigma dieser Verdrängung, da sie die Bildebene als Schnittebene im geometrischen Raum bestimmt. Die räumliche Gliederung der Bildebene ist so ausgehend von den Planschnitten nach mathematischen Gesetzen deduzierbar und die Fixierung dieser Gliederung (des disegno) in einem resistenten Trägermaterial (Wand, Leinwand, Holz, Farbe) gilt als sekundäres Zugeständnis an die Leibgebundenheit des Sehens, während das adäquate Subjekt der Perspektive stoff- und ortloses Cogito wäre, das den mathematischen Raum erfasst, indem es ihn denkt.

Nach diesem Modell (das historisch vielfach unterlaufen wurde, das ‹Fleisch› der Malerei war faktisch nie sekundär; aber ich komme auf eine grundsätzliche Kritik von anderer Seite her zurück) fände in der impressionistischen und post-impressionistischen Malerei des 19. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel statt, insofern dort das Licht nicht als Element geometrischer Konstruktion, sondern als energetische Schwingungsmannigfaltigkeit begriffen wird, die sich im Auge des Sehenden – und  das heißt nun in der Zeit, nicht nur im Raumpunkt dieses Auges – in ein Wahrnehmungsbild übersetzt. Bei Seurat beginnt um den Augenpunkt der Perspektive gegenüber dem Schirm der spektralisierten und in die Atome der Pinselmarkierungen gesplitterten Farbe ein Körper zu gerinnen, der der physiologische Träger des Wahrnehmungsfeldes ist. [1] Die Inkarnation des Bildscheins in seinem Trägermaterial und die Verleiblichung des wahrnehmenden Subjekts verlaufen parallel.

Diese Inkarnation ist, um in großen Schritten vorzugehen, in der minimalistischen Situation abgeschlossen. In Robert Morris' Plywood Show (Abb. 1) ist der Ausstellungsraum zur Bühne der grauen Volumina geworden, in deren Theater, mit dem Wort Michael Frieds, [2] der/die Betrachter/in eingelassen sein wird – ein wahrnehmender Leib, der von der theatralen Situation sein je singuläres Video, sein verzeitlichtes Bild anfertigt. In der postminimalistischen Kunst ist die Bindung dieses Videos, der temporalen Gestalt der ästhetischen Erfahrung, an den Apparat, der es aufzeichnet, den wahrnehmenden Körper, weiter analysiert worden, ebenso wie die Bilder, die der Körper selbst im Raum der theatralen Sichtbarkeit abgibt.

Ausgabe 02 | Seite 200  >>