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Die Wahrheitsfähigkeit des Bildes liegt in diesem Potential einer Selbstkritik, in der es sich als Ort der Übersetzung des präperspektivischen Außen in die Immanenz der figurierten Sichtbarkeit bestimmt. Die Funktion dieser Übersetzung und ihre zwei Seiten lassen sich durch verschiedene Register hindurch deklinieren. Das Außen kann mit Kant als das präsynthetische Noumenale begriffen werden, das sich in der transzendentalen Arbeit von Einbildungskraft und Verstand in eine regelkonforme phänomenale Natur übersetzt. Es kann spinozistisch als natura naturans begriffen sein, die sich in einem ihrer endlichen Modi, dem Menschen oder Subjekt, zur gegenständlichen natura naturata bricht. Es ist im Paradigma der rationalen Perspektive der Renaissance als der standpunktlose Raum gedacht, der sich in dem selbst weltlosen Augenpunkt, dem Punkt des Cogito, zum Wahrnehmungsraum mit seinen Formen und Figuren übersetzt. Es ist im Paradigma der physiologischen Erkenntnistheorie, die die Malerei des 19. Jahrhunderts und mittelbar der klassischen Moderne bestimmt, das Energiegefälle des Werdens (für die Malerei die Wirkung der Lichtenergie), das im Nervensystem – in der Zeitschwelle, die der neuronale Körper darstellt – zu einer konsistenten, im konstanten Fließen formal stabilen Wirklichkeit gerinnt.

Und es ist in einem weiteren Register das Bewegungsgesetz des Kapitals oder mit Althussers Formel die Geschichte als ‹subjektloser Prozess›, die sich in der Schicht der konsumierbaren materiellen und ideellen Waren in die öffentliche Sichtbarkeit und das ideologische Element des kollektiven Wissens projiziert. Die formale Struktur der Beziehung ist jeweils die einer asymmetrischen Opposition zwischen Dimensionen unterschiedlicher Potenz, derart, dass die niedere Dimension – die bewusstseinsfähige, perspektivisch illuminierte Realität mit ihrer kollektiven sozio-symbolischen Armierung – das Brechungsprodukt oder die Ausdrucksoberfläche der Dimension des ‹Realen› (im Lacanschen Sinn), also des präperspektivischen Außen ist. Das seine eigene Krise exponierende Bild ist eine Stelle in der endlichen Realität, die das Brechungsgesetz lesbar hält und so auf die Ursprungsdimension bezogen bleibt, die sich gegenüber der endlichen Realität als das Unendliche oder Inkommensurable bestimmt.

Der Träger ist also die immer abgekehrte, dem heterogenen, anarchisch früheren Außen zugewandte Seite des Bildes. Der Träger des Bildes ist nie ein konturierbares Objekt. Es ist das positivistische Missverständnis nicht nur des amerikanischen Modernismus, den Träger mit dem materiellen Bestand des Objekts zu identifizieren, dessen massive Präsenz den Spalt oder die Kluft und das Spiel der Differenz von Zeigendem und Gezeigtem ausfüllt. [7]

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