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Die Fähigkeit, mit dem Finger auf etwas zu zeigen, ist – wenn man dem Primatenforscher Tomasello folgt – eine ausschließlich menschliche Fertigkeit. [1] Doch nicht jedes Zeigen bedarf des Zeigefingers. Auch Artefakte sind in der Lage, etwas zu zeigen. Die Wetterfahne zeigt, in welche Richtung der Wind weht, das Quecksilber im Thermometer, wie warm oder kalt es ist, der Stadtplan, wie man von A nach B kommt und die Bauanleitung, wie das Möbelstück zu montieren ist.

Zu diesen zeigenden Artefakten gehören in besonderer Weise Bilder, denen, wie es heißt, eine genuine Schaukraft eignet. Was sie zeigen, zeigen sie, anders als ein mathematischer Beweis, nicht als Endergebnis eines Durchgangs; alles, was es zu sehen gibt, liegt von Anfang an offen vor Augen. Anders als in der narrativen Schilderung jedoch, die im Hörer oder Leser eine freie imaginäre Anschaulichkeit erzeugt, ist die bildliche Anschaulichkeit von ihrem materiellen Substrat – vom Bildkörper – niemals loszulösen.

Dadurch allerdings, dass Bilder gleichsam an sich selbst zeigen, was sie zeigen, scheint ihnen gerade das zu fehlen, was man der Diskursivität zuschreibt: die Möglichkeit zur Metasprachlichkeit, d.h. Zeichen, die erklären, wie die Zeichen des Systems zu verwenden sind. Zeigt in der musikalischen Notation der Notenschlüssel an, in welcher Höhe die Töne auf den Notenlinien zu spielen sind, scheint es in Bildern dafür keine Entsprechung zu geben. Wie zeigen Bilder an, wie sie zu betrachten sind und wie zeigen sie, worauf sie zeigen?

Ausgabe 02 | Seite 208  >>