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Robert Brandom, Making it Explicit. Reasoning, Representing and Discursive Commitment, Cambridge 1998, S. 462.

 

Nicht länger verschleiert das Bild durch illusionistische Techniken sein bloßes Bildsein; vielmehr erhält es eine Appellstruktur, die nach einer Antwort in Form von Aufmerksamkeit für das Bild als Bild verlangt. Der Jüngling ist zweitens ein indicator, der dem Zuschauer einen Platz an der Bildschwelle zuweist, den Bildraum in Hier und Drüben ortet und ihm durch seine physische Präsenz einen Maßstab verleiht. Durch diese Deixis werden nicht nur Beziehungen im Bild sichtbar, sondern auch Bezugnahmen möglich: das Bild vermag sich auf Elemente seiner selbst rückzubeziehen und käme dann dem nahe, was oft nur der Verbalsprache zugestanden wurde, nämlich die Möglichkeit rekursiver Bezugnahme. Doch der Jüngling ist auch noch ein Drittes – und hier wird das Thema der ikonischen Deixis brisant –, nämlich ein ostensor, der auf etwas nur zeigen kann, weil er sich dabei selbst zeigt. Und das «Sich» dieses Sichzeigens, das ist hierbei bedeutsam, ist nicht das «Sich» der Selbstbezüglichkeit, sondern weist vielmehr die Form des grammatischen Mediums zwischen Aktiv und Passiv auf (Sichzeigen als Übersetzung des griechischen «phainesthai»).

Dass dieser phänomenischen Eigenart der Bilderscheinung keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, liegt nicht zuletzt daran, dass der Versuch der Nobilitierung der Bilder als legitime Erkenntnismittel oftmals darüber verlief, dass man in ihnen Strukturen der Verbalsprache wiederfinden wollte. Bilder wären dann der Reflexivität fähig, wenn sie anaphorische Züge aufwiesen, sich also selbst zum Thema machen können. Das läuft wiederum darauf hinaus, die Deixis als eine Unterkategorie der Anapher zu begreifen. Was von einigen Sprachphilosophen durchaus vertreten wurde. Laut Robert Brandom etwa können Deiktika (‹dieses›, ‹jenes›) im Diskussionsverlauf immer schon durch konkrete begriffliche Inhalte gefüllt werden und daher bestimmt sich der Sinn der Deixis weniger durch die situative Rahmung als durch die Möglichkeit der innerdiskursiven Iterierung: Deixis – so Brandoms Schlussfolgerung – presupposes anaphora. [8]

Denkt man diesen Gedanken radikal an sein Ende, zeigt sich die Crux aller Projekte, die die Immanenz des Bildsinns in einem Medium lokalisieren wollen (also etwa die immanente Selbstorganisation von Bildern). Wenn sich Bilder mit eigenen Mitteln auf sich selbst beziehen, bedarf es keines anderen Mediums mehr (etwa der propositionalen Sprache) für die Bezugnahme; die autarke Binnenzirkulation ist gewährleistet und das Problem der Metasprachlichkeit erübrigt sich. Doch was heißt es dann noch, zu sagen, dass Bilder etwas zeigen? Solange man Bilder allein an den Strukturen diskursiver Sprache misst, lässt sich auf diese Frage keine Antwort finden. Doch vielleicht ist es erlaubt, die Frage einmal umzukehren: inwiefern ist sprachliche Deixis überhaupt zeigend?

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