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Andere, praktische Bildtheorien – etwa die der Avantgarden – haben sich gegen jeden Referentialismus dadurch verwehrt, dass sie das Sich des Sichzeigens als buchstäbliches Sosein begriffen haben. Bilder sagen dann nichts aus, sie bedeuten nichts und verweisen auf nichts, sondern stellen nur ihre eigene Stofflichkeit aus, sie exponieren – indem sie sich gegen jede Übersetzung sperren – nichts anderes als sich.

Allein: mit der materiellen Zusammensetzung des Bilddings und der Auflistung der Pigmente auf der Holztafel ist noch wenig darüber gesagt, was das Bild zum Bild werden lässt. Kurt Schwitters Collagen sind noch nicht dadurch begriffen, dass man weiß, welche Materialien der Künstler für die Collage verwendete. Wenn einer jahrhundertelangen Tradition, die Bilder als bloße Repräsentationen des Gegebenen verstand, nun die stumme Präsenz des Bilddings entgegengehalten wird, wird zwar einmal mehr die für den abendländischen Diskurs so charakteristische Oszillation zwischen Transparenz und Opazität bestärkt, aber noch wenig über die Singularität ikonischen Zeigens gesagt.

Nun sind Bilder weder Realpräsenzen noch Re-Präsentationen, ihr Gegenstand ist weder gegeben noch wiedergegeben, vielmehr geben Bilder etwas zu sehen, was in dieser Form noch nicht vorliegt. In diesem Sinne gehören Bilder zu der Familie der «präsentativen Formen». 11] Insofern sie eine Eigenzeit einräumen sind Bilder weder bloße repetitive Wiedergaben des Vorhandenen noch autarke Präsenzen, sondern vielmehr Präsentationen, die in ihrem vorzeigenden Präsentieren immer ihrer eigenen immanenten Dinglichkeit ‹voraus› sind.

Mit dem Jüngling – ist es sein eigener Sohn? – allegorisiert El Greco in der Ansicht von Toledo dieses Vor-Zeigen des Bildes. Was sie zu zeigen hat, führt die Figur rückhaltlos vor, indem sie es dem Zuschauer entgegenhält. Auf einer Fläche lässt sich nichts verbergen; was auf Bildern gezeigt wird, war auf ihnen immer schon sichtbar. Doch die Figur zeigt mehr. Sie zeigt, dass das Vorzeigen nicht raum- und zeitlos ist, sondern immer auf bestimmte Art und Weise, nur so und nicht zugleich anders sich vollziehen kann. Sie zeigt in ihrer gestischen Haltung, wie sie zeigt, was sie zeigt; sie führt ihren Stil, ihre maniera vor. Selten wurde so eindrücklich wie in diesem Werk, worin der Sinn des Worts Manierismus liegt. 

<<  Ausgabe 02 | Seite 215