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Insgesamt führt diese Publikation, die lediglich eine Art «Spitze des Eisberges» darstellt, da es sich um die erste einer angekündigten Reihe größerer interdisziplinärer Publikationen zu den deutschen Handschriften aus dem Kloster «Paradies» handelt, zur bemerkenswerten Schlussthese, dass die Handschrift nicht nur als Vorlage für den Gesang bestimmt war, sondern ebenso für die Lektüre und Meditation der Nonnen verwendet wurde: als eine Art Vermittler zwischen einem öffentlichen und einem privaten Raum der Liturgie. Dass wir es hier nun mit einer medial betrachtet polyvalenten Quelle zu tun haben, dass sich hier Bilder mit Text und mit musikalischer Notation den Raum auf dem Pergament teilen, hätte Anlass genug sein können, das Phänomen der Intermedialität in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Leider fehlt jedoch jeder Bezug zu den seit den Debatten um die Schriftbildlichkeit und den «iconic turn» reflektierten Implikationen der Relationen zwischen Bild, Schrift und Notation. Zu fragen wäre einerseits, wie die verschiedenen medialen Ebenen untereinander interagieren, und andererseits, nach welcher visuellen Logik die Leaves from Paradise gestaltet wurden. Denn es steht außer Zweifel, dass hier eine einzigartige Modalität der Sichtbarmachung von Wissen und Glauben vorliegt, die in manchen Beiträgen immerhin implizit angesprochen scheint, aber leider nirgends ausdrücklich gemacht wird. Es ist nun die Aufgabe künftiger Wissenschaftler, auf der vorbildhaften Leistung dieses Buches aufbauend, die visuelle Qualität dieser und ähnlicher Quellen den theoretischen Errungenschaften der Bildkritik entsprechend anzugehen und neu zu beleuchten.

<<  Ausgabe 02 | Seite 193