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Aufgrund dieser Unentscheidbarkeit wird nicht nur das Modell zum Bacchus, sondern auch der Bacchus zum Modell. Nun repräsentiert es den Gott der Ekstase nicht mehr nur, sondern ist selbst ein Bacchus, was Sansovino gewissermassen das Privileg beschert, nach dem Original arbeiten zu können. Mit dem polymorphen Selbstverlust des Modells geht daher eine Unmittelbarkeit einher, sozusagen eine leibhaftige Verkörperung, die nicht mehr auf etwas anderes verweist, sondern den Bezugsgegenstand selbst vor Augen zu stellen vermag. Daher gilt es hier, das Paradox zu denken, dass Vasari in der Pippo-Anekdote offenbar die bacchantische Tendenz zum Selbstverlust als charakteristische Eigenschaft von Modellen ausweist, dass sich also das Modellsein eines Gegenstandes gerade darin bezeugt, dass es in der Verschmelzung mit dem Bezugsgegenstand teilweise oder ganz verloren geht.

Auch hier treten, wie bereits bei dem Gemälde im Salone dei Cinquecento, die Unmittelbarkeit einer gesteigerten Präsenz und die Unbestimmtheit der Grenzen des Modells in einen enges Wechselverhältnis . Das entgrenzte Modell liefert die überlegene Referenz für einen bereits für sich entgrenzten Gegenstand, indem es mehr als nur äusserlich auf ihn verweist. Dies wird an der Pippo-Anekdote deutlich. Umgekehrt steigert sich aber auch umso mehr die Gefahr, dass sich das Modell an die Stelle des Modellierten setzt und infolgedessen seiner Kontrolle entzieht, je stärker man es seinem Bezugsgegenstand anzugleichen versucht. Dies war durch die Deutungsalternativen der Diliberazione deutlich geworden. Der Vergleich dieser beiden Zusammenhänge wirft die Frage auf, ob die Pippo-Anekdote diese beiden Verknüpfungsformen von Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit nicht bereits als Erscheinungsformen einer und derselben charakteristischen Eigenschaft der Modelle ausweist und damit sozusagen einer Art Unschärferelation der Modelle formuliert.

Das proteische Modell

In seiner luziden Untersuchung stellt Stoichita die Pippo-Anekdote in den Kontext der Pygmalion-Legende und der verschiedenen Formen der Verwandlung von Kunstwerken. Als eine Art Ergänzung dieser Zusammenhänge scheint es aber auch möglich, den Topos des Orakels ins Spiel zu bringen, der traditionell mit produktiven Unschärfen in Verbindung gebracht wird. Etwas ähnliches hat Albert C. Smith in Architectural Model as Machine an Architekturmodellen versucht, indem er diese in einen historischen Zusammenhang zu prognostischen Werkzeugen gestellt und ihnen bis in die Gegenwart eine entsprechende Rolle zugewiesen hat. [23]

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