Insbesondere wäre bei einer Überlegung, die Pippo-Anekdote mit der Praxis der Weissagung in Verbindung zu bringen, an solche Orakel der griechischen und römischen Antike zu denken, die ihre Gestalt zu wechseln vermochten, also zum Beispiel an Metis, Thetis, Nereus oder Proteus, die Vasari zweifellos vertraut waren. Sie alle verfügen, wie Marcel Detienne und Jean-Pierre Vernant gezeigt haben, über die Fähigkeit der mêtis, also der fortwährenden Verwandlung mit dem Zweck der Beherrschung einer komplexen Situation oder der Befreiung aus einer problematischen Lage. Nach Detienne und Vernant bezieht sich der Ausdruck mêtis auf das schimmernde, wechselhafte Spiel von Formen und Farben und beschreibt eine Technik, die zwischen Wahrsagerei und Problemlösung changiert:
«In order to dominate a changing situation, full of contrasts, [mêtis] must become even more supple, even more shifting, more polymorphic than the flow of time: it must adapt itself constantly to events as they succeed each other and be pliable enough to accommodate the unexpected so as to implement the plan in mind more successfully. […] Victory over a shifting reality whose continuous metamorphoses make it almost impossible to grasp, can only be won through an even greater degree of mobility, an even greater power of transformation.» [24]
Angesichts der augenfälligen Koinzidenzen zwischen dieser Charakterisierung und dem Schicksal des Pippo als Modell drängt sich die Frage auf, inwiefern die Eignung von Entwurfs- und Planungsmodellen davon abhängt, dass sie dem Transformationspotential ihrer jeweiligen Bezugsgegenstände gewachsen sind. Nicht die Simplifizierung, sondern das in sich selbst produktiv unbestimmte Modell wäre so gesehen das Mittel der Wahl, um einen komplexen, dynamischen oder sonstwie unbestimmten Gegenstand in den Griff zu bekommen.
Diese Frage gewinnt ihre Prägnanz nicht zuletzt daraus, dass der Physiker Erwin Schrödinger im Jahre 1935 in einem Aufsatz über die Situation der Quantenmechanik den klassischen, also Newtonschen und Einsteinschen Modellen die Rolle eines antiken Orakels zugewiesen und damit die Frage nach der Bedeutung der Unbestimmtheit für den Modellgebrauch auf den wissenschaftlichen Bereich ausgeweitet hat. Er schreibt:
«Das klassische Modell spielt in der Quantenmechanik eine Proteus-Rolle. Jedes seiner Bestimmungsstücke kann unter Umständen Gegenstand des Interesses werden und eine gewisse Realität erlangen. Aber niemals alle zugleich – bald sind es diese, bald sind es jene, und zwar immer höchstens die Hälfte eines vollständigen Variablensatzes, der ein klares Bild von dem augenblicklichen Zustand erlauben würde.» 25]