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In der in Rede stehenden Passage berichtet Vasari davon, dass Giovanni Bartolini eine Bacchus-Statue bei dem Architekten und Bildhauer Jacopo Sansovino in Auftrag gegeben habe. Nachdem dieser ein kleines Modell angefertigt und Bartolini damit für das Projekt eingenommen habe, sei ihm von diesem der Marmor zur Ausführung überlassen worden. Sansovino habe sich dann, wie Vasari schreibt,

«mit einer solchen Lust an die Arbeit [gemacht], daß seine Hände und sein Geist beflügelt gewesen zu sein schienen. Seine Studien für dieses Werk, sage ich, waren so gründlich, daß er in der Absicht, es vollkommen auszuführen, begann, einen seiner Lehrlinge namens Pippo del Fabbro nach dem Leben zu porträtieren, und obwohl es Winter war, ließ er ihn die meiste Zeit des Tages nackt posieren. Aus jenem Pippo hätte ein tüchtiger Mann werden können, denn er gab sich alle Mühe, [den Meister zu imitieren  [15] ]. Doch sei es, weil er in jener Jahreszeit nackt und ohne Kopfbedeckung Modell stand oder weil er zuviel studierte und Ungemach erduldete, jedenfalls verlor er noch vor Vollendung des Bacchus beim Nachstellen von Haltungen den Verstand. Dies offenbarte sich, als es eines Tages ununterbrochen regnete und Sansovino, der nach Pippo gerufen, aber keine Antwort erhalten hatte, sah, wie dieser nackt über ein Dach auf die Spitze eines Schornsteins geklettert war und die Haltung seines Bacchus einnahm. Andere Male nahm er Bettlaken oder auch große Stoffbahnen, die er naß machte und um seinen nackten Körper hüllte, als sei er ein Modell aus Ton oder Tüchern. Und nachdem er die Falten zurechtgelegt hatte, erklomm er sonderbare Orte und nahm die eine oder andere Pose ein, wie die des Propheten, des Apostels, des Soldaten oder eine andere. So ließ er sich porträtieren und stand, ohne zu sprechen, für die Dauer von zwei Stunden da, als sei er eine unbewegliche Statue. Der arme Pippo vollführte einige weitere, ähnlich amüsante Verrücktheiten, doch vergaß er über alledem niemals den Bacchus, den Sansovino geschaffen hatte, bis er nur wenige Jahre darauf starb.» [16]

Vasari thematisiert in der Pippo-Anekdote eine Situation , die auf ganz andere Weise bereits im ersten Abschnitt diskutiert worden ist. Wie oben verschwimmen hier die Grenzen des Modells zu demjenigen, auf das es sich bezieht. Während aber bei dem Bild des planenden Cosimo das Ideal der unmittelbaren Verknüpfung von exaktem Wissen und erfolgreicher Handlung durch die Deutungsalternativen exponiert wird, ist es hier das Ideal eines nicht nur Äusserlichkeiten darstellenden Modells sowie die damit verbundene Tendenz der Modelle, sich an ihre Bezugsgegenstände zu verlieren. Wie Stoichita betont, ist eine der Ursachen des tragischen Selbstverlustes des Modells in Pippos Versuch zu sehen, den Meister «mit aller Mühe» zu imitieren. Vasari bezieht sich hier offenbar auf die «Lust», mit der Sansovino sich der Arbeit an der Bacchus-Statue widmete.

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