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Diesbezüglich ist zu beobachten, dass geometrisch ideale Stadtbefestigungen (z. B. Palmanova) die Ausnahme blieben, sich Idealkonzepte auf kleine Festungen (Jülich, Spandau) beschränkten und selbst bei kleinen Kastellen und Zitadellen zu beobachten ist, wie die Idealform der Topographie angepasst wurde (Wülzburg, Dömitz). Diese Divergenz von idealer Regularität und regulierter Irregularität ist bedeutsam, denn unter den Festungsbauingenieuren wurden zwei Ideale als Leitbilder diskutiert: Die Theoretiker, die die Fortifikationskunst dem Ideal mathematischer Perfektion und geometrischer Regelmässigkeit unterordnen wollten, argumentierten, dass nur regelmässige Formgebungen eine nach allen Seiten gleichmässige Funktionsfähigkeit garantierten.

Die Praktiker verstanden die Kunst der Fortifikation ganz anders. Ihrer Ansicht nach hielt die Natur fortifikatorische Vorteile bereit. Man wählte günstige Standorte aus, wobei die Kunst darin bestand, die natürlichen Vorteile zu nutzen. Eine regelmässige Festungsfigur liess sich zwar in dieses Umfeld einbetten, jedoch erreichte nur eine vom Ingenieur regulierte Formgebung im Zusammenspiel natürlicher Gegebenheiten und künstlicher Formen eine allseits optimale, eben ideale Funktionsfähigkeit. Allein Öffnungen im Wallring für Wasserläufe oder Torwege erzwangen Modifikationen. 1630 veröffentlichte Adam Freitags sein einschlägiges Werk Architectura Militaris. [13] Darin legte er ein neuartiges System vor, das nicht auf wenige ideale Figuren beschränkt war. Er setzte die Defensionslinie auf das Fixmass von 60 Ruthen fest. Davon ausgehend schlug er eine dreiteilige Proportion vor: die Einteilung der sogenannten Royale. Betrug die Defensionslinie 60 Ruthen, dann handelte es sich um ein Groß-Royal. Mass die Außenpolygonseite zwischen zwei Bollwerkspitzen 60 Ruthen, war es ein Klein-Royal. Alle Größen dazwischen galten als Mittel-Royale. Das Modell der Royale besass den Vorteil, dass sich unendlich viele ideale Figuren fortifizieren liessen. – Und: Bisher galten nur regulare Figuren als regelmässig; nun liessen sich auch irregulare Figuren den Regeln gemäss befestigen. Damit konnten standardisierte Fortifikationsmodelle auf unregelmässige Topographien übertragen werden, d. h. die situative Unregelmässigkeit wurde erstmals durch ein reguliertes Formideal beherrscht.

Wie funktionierte dies in der Praxis? Bei den Royal-Festungen können Sektoren unterschiedlicher Grösse aufeinanderfolgen: auf einen Groß-Royal-Sektor ein kleiner, dann ein Mittel-Royal usw. Die Umwallung einer Groß-Royal-Festung liess sich in einem besonders gefährdeten Bereich mit Klein-Royal-Bollwerken verdichten und verstärken. Die Diskrepanz von geometrisch idealer Figur und topographisch idealer Funktionalität wurde weitgehend überbrückt.

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