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Für Lehmann war der Film nicht nur eine Möglichkeit, die dynamische Beweglichkeit der flüssigen Kristalle sichtbar zu machen, sondern ebenso ein Mittel, eine bestimmte Sichtweise zu inszenieren, welche die Bedeutungsfelder einer spektakulären, quasi-magischen Technik mit einem mechanistischen Verständnis des Lebens verband.

Lehmanns Strategie erwies sich jedoch als prekär. Seine Mobilisierung des Wunderbaren und Spektakulären konnte zu einer Vitalisierung der Kristalle führen, die deren Modellcharakter unterminierte. Ein solcher Schritt erforderte jedoch eine aktive Aneignung der Bilder, die diese aus ihrem Verweissystem heraustrennte und in ein neues versetzte. Erst der Monismus Haeckels, der über eigene visuelle Strategien, Sichtweisen und Begriffsapparate verfügte, verwandelte die scheinbar lebenden Kristallen in tatsächlich lebende Kristalle. Haeckel kappte den Verweis auf die Modellhaftigkeit der Kristalle, der bei Lehmann mittels sprachlicher Verfahren der Modalisierung hergestellt wurde. Wenn der Leser der Kristallseelen von Lehmanns Bildern nicht mehr zum Modell zurück fand, so lag das folglich weniger an den Bildern selbst als an der Architektur des neuen Verweissystems, in das diese nun eingebettet waren.

Um vom Modell zum Bild und wieder zurück zu finden braucht es einen Weg, und dieser Weg muss erst angelegt werden. Wie jede andere Form des Wegbereitens ist auch diese keine triviale Operation, sondern ein komplexes und aufwändiges Verfahren, das Medien, Darstellungsformen und Bedeutungsfelder mobilisiert, um ein Verweissystem zu etablieren, in dem man sich zurechtfinden kann.

 

Thomas Brandstetter studierte Philosophie an der Universität Wien und promovierte in Kultur- und Medienwissenschaft an der Bauhaus Universität Weimar. Er war Junior-Fellow am IFK Wien und Doc-Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nach Forschungsaufenthalten in Cambridge und Paris arbeitete er als Assistent am Institut für Philospophie der Universität Wien. Zur Zeit ist er PostDoc bei eikones NFS Bildkritik, wo er über Kristalle als Modelle für Lebensphänomene arbeitet. Publikationen (Auswahl): Time Machines: Model Experiments in Geology, in: Centaurus 53 (20119, S. 135-145; Leben im Modus des Als-Ob. Spielräume eines alternativen Mechanismus um 1900, in: A. Avanassian, A./W. Menninghaus/J. Völker (Hg.), Vita Aesthetica. Szenarien ästhetischer Lebendigkeit, Berlin: diaphanes, 2009, S. 237-249; Kräfte messen. Die Maschine von Marly und die Kultur der Technik, Berlin: Kadmos Verlag, 2008.

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