Wie wir sehen werden, eigneten sich bestimmte Bildtypen, vor allem kinematographische Bilder, besonders, um die Kristalle zu verlebendigen, da sie zusätzlich Anschlüsse an kulturelle Bedeutungsfelder erlaubten, die dem Ansinnen Lehmanns, nämlich seine Kristalle als alternative mechanistische Modelle zu etablieren, entgegen kamen. Sämtliche eingesetzten Bildtypen waren jedoch stets von Texten begleitet, die den Modellcharakter der Kristalle explizit machten. Anders als für die Kristallographen waren die flüssigen Kristalle für die mechanistischen Biologen nicht per se interessant; sie waren es nur, insofern sie als exemplarische Verkörperungen einer mechanistischen Erklärungsstrategie fungieren konnten.
Lehmanns Arbeit an der Konstitution der Kristallmodelle konzentrierte sich auf die Herstellung eines dichten Verweissystems zwischen verschiedenen schriftlichen und bildlichen Darstellungsverfahren. Dieses sollte es erlauben, vom Modell zum Bild und wieder zurück zu gelangen und so zu einer Stabilisierung seiner Sichtweise beitragen. Wie zu zeigen sein wird, barg diese multimediale Visualisierungsstrategie jedoch beträchtliche Ambivalenzen: Das Band zwischen Modell und Bild konnte zerreissen, und die Objekte konnten ihre Funktion als Modelle wieder verlieren. In der Aneignung von Lehmanns Kristallen durch Ernst Haeckel lässt sich zeigen, wie der durch die Visualisierungen bewirkte Lebendigkeitseffekt dazu führte, dass die Kristalle nicht mehr als Modelle des Lebendigen, sondern als tatsächlich lebendige Entitäten wahrgenommen wurden. Inwieweit sich dies einer spezifischen ‹Logik des Bildlichen› verdankt oder nicht vielmehr Effekt eines anderen Verweissystems darstellt, soll am Ende diskutiert werden. Zunächst jedoch ist es notwendig, einen kurzen Überblick über die Konstellation zu geben, innerhalb derer die Kristalle überhaupt erst als Modelle bedeutsam wurden.
Vitalismusstreit
In den 1890er Jahren geriet die mechanistische Auffassung des Lebens, die im deutschsprachigen Raum seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgreich physiologische Forschungsprogramme begründet hatte, zunehmend unter Kritik. [5] Was für Hermann von Helmholtz und Emil du Bois-Reymond noch eine vielversprechende Prämisse der biologischen Forschung dargestellt hatte – nämlich die Zurückführung sämtlicher Lebensvorgänge auf rein mechanische Prozesse – warf fünfzig Jahre später eine ganze Reihe von Problemen auf. Vor allem an rätselhaften Phänomenen der Embryonalentwicklung, die von Hans Driesch experimentell hervorgerufen worden waren, entzündete sich ein Streit um die Reichweite und die Grenzen mechanistischer Erklärungsansätze.