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Es lassen sich jedoch eine Reihe anderer Indizien anführen, die auf eine derartige Entwurfpraxis schliessen lassen. Unter anderem darf hier das Phänomen innovativer Bauprojekte angeführt werden, für die sicherlich bei der Diskussion zwischen Auftraggeber und Planenden Modelle eine substantielle Grundlage geboten haben. [4]

Nur aus Armenien wie auch Georgien sind steinerne Objekte überliefert, die eine Funktion als Präsentationsmodelle ausgeübt haben könnten (z. B. in der Heilig Kreuz-Kirche von Aght’amar, 921 vollendet, wo der Stifter König Gagik I., ganz im Flachrelief gehalten, an der Westfassade das weitaus plastischere Modell in seiner linken Hand hält.). Später wurden sie in den vollendeten Bau an der Fassade appliziert. [5] Bei der Frage nach der Relation zwischen gemalten und potentiellen dreidimensionalen Modellen sind in jedem Fall die dem Visuellen eigenen Bedingungen zu berücksichtigen.   

Zeichnungen, wie sie Trdat vorführt, finden in anderen armenischen Quellen keine Erwähnung. Auch für Byzanz wird noch immer kontrovers diskutiert, welchen Stellenwert planerische, zeichnerische Entwürfe innehatten. Für die Spätantike halten die Schriftquellen ausreichende Hinweise für eine derartige Praxis bereit, [6] für die mittel- und spätbyzantinische Zeit (843-1453) schweigen sie sich zu diesem Sachverhalt aus. Grundsätzlich darf man jedoch davon ausgehen, dass komplexe Bauvorhaben nicht ohne eine zeichnerische Vorplanung auskamen. [7] Übereinstimmende Grundrisse von Bauten an weit voneinander entfernten Orten dürften zudem auf einem zeichnerischen Transfer fundieren. Vermittlungsinstanzen, die sich nicht auf eine rein orale Kommunikation beschränkten, sich vielmehr materiell, d.h. auch zeichnerisch manifestierten, sind vor allem in solchen Fällen anzunehmen, in denen Bauten bis in die Details hinein an anderen Orten kopiert worden sind. Die in Einzelfällen zu beobachtenden differierenden Dimensionierungen setzen zudem einen Übersetzungsmodus voraus, der primär zeichnerisch absolviert werden kann. Der bereits angesprochene Architekt Trdat hat z.B. die Kirche von Gagkašen in Ani nach dem Vorbild der aus dem 7. Jahrhundert stammenden Kirche von Zuart’noc’ erbaut. [8] Für Byzanz lässt sich ein analoges Beispiel anführen. Horst Hallensleben hat die Peribleptoskirche in Ohrid (Makedonien) 1294/95 als einen Zwillingsbau der 200 km südlich in Epiros liegenden Panagia Bellas in Boulgareli (Drosopege) identifiziert, die Anfang der neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts errichtet wurde. [9] Von ein und derselben Werkstatt geplant und ausgeführt, sind die Disposition, die Proportionen, das Mauerwerk, aber auch der Dekor überraschend gleicher Konzeption verpflichtet. Diese Übereinstimmungen lassen kaum einen Zweifel aufkommen, dass eine zeichnerische Aufnahme diesem Procedere vorausgegangen ist.

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